Im südlichen Teil des Kanton Freiburg fliesst der Taunabach durch ein Berg- und Talgelände, das vor mehreren hundert Jahren der Aufenthalt eines wilden Jägers war, der besonders während der Jagdzeit jeden Samstag sein unruhiges Wesen trieb. Sobald die Betglocke im Dorfe geläutet hatte, hörte man in den Wäldern und jähen Halden ob Grandvillars das Schmettern der Jagdhörner, das "Ho-ha-ho-Rufen" des Jägers und das Gebell der Rüden. Dann stürmte die Jagd durch Berg und Tal, bis der Tag graute. In einer nahen Voralp schien der Jäger vor Mitternacht stets etwas auszuruhen; denn hier sammelte er seine zerstreuten und verlaufenen Hunde wieder, und verwahrte in einer Felshöhle das erlegte Wild. Kaum konnten es die Sennen dort aushalten; denn wenn sie sich nicht mäuschenstill hielten, verheerte er alles auf der Vorsatz, zerschlug Dächer und Zäune, die Rüden gruben tiefe Löcher in den Boden, und die Kühe im Stalle des Staffels wurden auf unsichtbare Weise gequält und gepeinigt, dass sie laut brüllten, und am andern Morgen nur wenige und schlechte Milch gaben.
Einst stand ein junger, unerfahrener Küher vor der Alphütte, und als er den Nachtjäger herannahen sah, schrie er keck: "ho, ha, ho! ho, ha, ho!" aber plötzlich erhielt er, obschon der Weidmann noch fern war, einen so heftigen Stoss in den Rücken, wie mit einem Gewehrkolben, dass er blutrünstig, gequetscht, und halb ohnmächtig zur Erde fiel, wo ihn die Sennen erst am andern Morgen aufheben und pflegen konnten, weil sie es nicht gewagt hatten, so lange der Jagdsturm dauerte, aus dem Staffel zu treten, der von den bellenden Hunden wie umlagert war. Diese taten jedoch dem armen Küher nichts Leides, sie beschnüffelten ihn nur, bis sie sich mit dem unruhigen Jäger entfernten. Suchte man des andern Tages bei Sonnenaufgang im Felsenkeller das Gewild, so fand man nichts, als Spuren von Blut, Gemsen-, Hasen-, Fuchs- und Dachsenhaare und Tritte von Menschen und Hunden.
Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung www.maerchenstiftung.ch