Am rechten Ufer des Thunersees, unweit des Schlossturmes Ralligen und des Dörfchens Merligen liegt nach einer allgemeinen Sage die Stadt Roll unter dem Schutte begraben. Sie soll durch einen furchtbaren Bergsturz verschüttet sein, indem ein grosser Gipfel der zerrissenen Ralligstöcke sich losgerissen habe und nach dem See hingestürzt sei. Noch jetzt liegen dort grosse Felsblöcke von festem Kalkstein. Auch ein schlossähnliches Gebäude, Ralligschloss, einige Minuten vor dem Schuttplatze gelegen, soll ein Überbleibsel sein. Vor nicht langer Zeit hat man unter einem grossen Felsstücke eiserne Werkzeuge gefunden. Folgende Sage geht darüber im Munde des Volkes:
Eines Abends als sich die Bewohner jener Stadt zur Ruhe begeben wollten, kam ein Zwerglein (Bergmännlein) vom Berge herab und begehrte Nachtherberge, wurde aber von den ungastlichen Leuten abgewiesen; nirgend fand es freundliche Aufnahme als bei den Bewohnern des Ralligschlosses. Des andern Morgens stellte sich jenes Zwerglein auf den Gipfel der spitzen Fluh (Gibelfluh) und rief mit folgenden Worten die Unglücksbotschaft über die Stadt aus:
Stadt Roll, zieh us mit dinem Volch!
Die spitzi Fluh ist g'spalte;
Schlegel und Wegge si g'halte,
Zieh' us, dem Stampach zu!
Aber niemand hörte auf diese Warnung und das Unglück brach herein. Der grösste Teil der spitzen Fluh riss sich los und zermalmte die Stadt samt ihren Bewohnern. Niemand wurde gerettet als die gastfreundlichen Bewohner des jetzt noch stehenden Ralligschlosses. Jetzt gleicht dieser Ort einer Einöde, nur auf eine spärliche Weide treibt der Schaf- und Ziegenhirt seine Herde.
Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858. E
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung www.maerchenstiftung.ch