Ein kleines Bauernhaus auf Camana. Auf der Wiese daneben ein spitzes Felsstück. Ein derbes Weib wohnte im Haus, ihre erwachsene Tochter war sehr hübsch. Wenn sie auf der Wiese Vieh hütete oder mähte, verliebten sich selbst die wild Mannli in sie, eins derselben besonders. Oft guckte es hinter dem Stein hervor auf das schöne Mädchen, das sich vor dem kleinen seltsamen Geschöpfe fürchtete und floh. Die Mutter fürchtete sich aber nicht und lud das Mannli ins Haus zum Schottentrunk (sie käsete eben). Wild Mannli sagte: «Wenn ich unter ein Dach trete, so regnets.» Das Wetter war klar, auf der Wiese lag das dürre Heu der Frau zum Einsammeln bereit. Die gutmütige Frau bat das Mannli wiederholt ins Haus zum Essen zu kommen. Es sagte immer: «Tret ich unter Dach, so regnets.» Endlich kams doch, auf fortgesetztes Bitten. Aber kaum unter Dach, so regnete es. Das Heu der Frau wurde ganz nass. Nun wurde die Gastfreundliche zornig, meinte, das Mannli habe das Wetter gemacht, ergriff den Ofenwisch und jagte das arme Geschöpf unter Schelten und Schlagen aus dem Haus. Das fliehende Mannli sagte: «Hab mich nicht eingebettelt bei dir, hab s`Wetter nicht gemacht, schlägst mich unschuldig, sollst keinen Regen mehr sehen.» Es sprang auf das spitze Felsenstück und war verschwunden. Die Frau erzählte die Geschichte ihren Nachbarn und ihr wurden in der Folge die Schuld des Regenmangels zugesprochen. Das Wetter wurde so trocken, dass dem Vieh das Futter verdorrte. Diesen grossen Mangel gab man einzig jener Frau Schuld. Sie musste vor dem Zorn ihrer Landsleute in eine Berghöhle fliehen, wo ihr die fromme Tochter zu essen brachte. Als aber die Dürre zunahm, verbot man der Tochter das Essentragen, sagend, wenn das Vieh verhungern müsse, solle es die, welche dran schuld, auch. Alles Bitten der Tochter half nichts. Da erklomm die Verzweifelnde mühsam den spitzen Stein, wo man s'wild Mannli zum letzten Mal gesehn, weinte dort, dass die Tränen zur Erde niederflossen und flehte dort s'unsichtbare wild Mannli um Erbarmen. Dieses erschien wieder, war ganz gerührt, rief: «Bist g'segnet! Es regnet!» Es regnete prächtig. Die Tochter durfte die Mutter wieder nach Hause holen.
Aus: U. Brunold-Bigler, Die Sagensammlung der Nina Camenisch, Disentis 1987, mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.