Ein frommer Mann aus einem unserer Dörfer ging nachts aus seinem Bergstall nach Hause, um Arznei für eine plötzlich erkrankte Kuh zu holen. Er kam an einem andern, einsam im Wald stehenden Stalle vorüber, sah dort Licht und ging neugierig hinein. Es war niemand da; ein seltsames Etwas wehte den Eintretenden an, so dass er auf den Einfall kam, sich zu verstecken, um zu sehen, was das Licht zu bedeuten habe.
Bald kam ein Wesen, das einem grossen, in dunkle Felle gehüllten Manne glich, Ziegenbockhörner auf dem Kopf und die Augen durchdringend, grimmig und boshaft. Das Gesicht schwarz und behaart, ihm nach eine Herde Ziegen, nun gabs Tanz und wüste Auftritte, die dem verborgenen Zuhörer Ekel und Schauder einflössten. Nach einer Weile kam noch eine Ziege demütig zum Stalle herein. «Warum kommst du so spät?», fragte mit wüster Stimme der schwarze Mann. Die Ziege zitterte heftig. «Ich strafe dich!», brüllte der Schwarze, band ihr Stricke um die Füsse, und hängte sie in dieser Weise an die Stalldiele auf. Darauf entfernte er sich mit den anderen Ziegen. Der versteckte Zuhörer kam nun hervor, hatte Erbarmen mit der Angst der hängenden Ziege, trat zu ihr und schaute mit Befremden in die ihm so bekannt scheinenden, klagenden Augen des Tieres. Er löste die festgeschnürten Stricke. Die Ziege floh. Der Mann ging ins Dorf und in sein Haus. Der Herbstmorgen war schon hell und seine sonst so fleissige Frau noch im Bett. Er trat in ihre Kammer mit der Frage: «Bist du krank?» «Ja», sagte sie leise, da nahm er ihre Hand, die sie ihm nicht gern liess und sah den Einschnitt eines Strickes. Die Tiefbeschämte gestand ihm ihre Schuld und dass sie nun durch ihn von den Banden des Teufels erlöst sei und willig die Strafe der weltlichen Obrigkeit erdulden wolle.
Aus: U. Brunold-Bigler, Die Sagensammlung der Nina Camenisch, Disentis 1987, mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.