Mitten im Dorfe Möhlin steht ein Haus nach alter Bauart, von dem man glaubt, dass es noch von den Heiden herstamme. Man hat es deshalb auch das Heidenhaus geheißen. Kapuziner haben hier einst einen erhängten Geizhals herausgeschleppt und in seiner Geldtruhe in dem benachbarten Tannenwald am Rhein verscharrt. Man erzählt dies also.
In einer langdauernden Hungersnot hatte der Wucherer Böhni zu Möhlin fast allein noch Vorräte auf seinen Kornschütten; deren besaß er aber viele, ja er soll fünferlei seiner Scheunen von seinem Wohnhause aus damals haben überzählen können. Alle Nachbarn wendeten sich in ihrem Mangel an ihn; allein bei ihm galt jetzt ein Laib Brod ein Viertel Land, und unbarmherzig bestand er so lange auf diesem Preise, bis er die Landstücke zusammen besaß, die sich schön eben vom Dorfe weg bis zum großen Tannenwalde am linken Rheinufer erstrecken. Noch stehen in Möhlin und in Ryburg sieben seiner aus solchem Gewinn damals gebauten Häuser, an ihren staffelförmig aufgemauerten Feuergiebeln unterscheidet man sie gleich unter den übrigen. Im schönsten, das zu Ryburg ist, hielt er selber Haus, und von dort aus konnte er seinen großen Tannenwald besuchen, ohne nur einen Fuß auf das Eigentum eines Andern setzen zu müssen. Daselbst ist er von einem Jäger, den niemand kannte, hinter dem Ofen erwürgt worden. Der Blutfleck an der Wand lässt sich nicht verweißen und nicht vermauern, und der jetzige Hausbesitzer, Stöcker Uerech genannt, soll deshalb dies Zimmer verschlossen halten und das Mirakel nicht herzeigen.
Kaum war Böhni beerdigt, so sah man, wie er wieder oben am Fenster saß mit einer roten Mütze auf dem Kopfe, nach Gewohnheit seine weiten Güter überblickend. Man traf also Anstalten, den Ungebetenen zu entfernen. Kapuziner mussten ihn hinter jenem Ofen in eine Maßflasche hinein segnen. Sie trugen ihn so in den Spitzengraben, bei einem Abhange jenes Bergrückens, der sich links an der Straße von Mumpf nach Möhlin hinzieht. Da es ihm aber verstattet werden musste, alle hundert Jahre seinen Bann um einen Hahnenschritt verkürzen zu dürfen, so hat er in der langen Zeit, die seither verflossen ist, sich allenthalben wieder gezeigt, so dass man ihn schon in mehrern seiner Wohnhäuser und in jeder erdenklichen Tiergestalt wieder getroffen hat. Im Dorfe selbst fürchtet man sich nicht vor ihm und schiebt es noch auf manches hundert Jahre hinaus, bis er hier einmal seine Wohnung wieder erreicht haben wird. Dagegen von der Berghöhe an bis gegen das Gasthaus zur Krone macht er den Fuhrleuten oft die Rosse scheu. Die Wallbacher hören in ihrem Dorfe recht deutlich sein erbärmliches Geschrei: „Hubhub, hoho!" Kriegsereignisse sieht er genau voraus, deshalb hat er sich auch im Jahre 1848 ungewöhnlich oft blicken lassen. Als Hund, als kleine Katze, als Kalb mit Glühaugen und als schwarzer Mann streicht er draußen im Walde umher. Noch jüngst hat er einen schweizerischen Grenzwächter, der hier nachts am Rheinufer die Runde zu machen hatte, rücklings zu Boden geworfen und so gepresst, dass ihm lange Tage nachher noch die Augen mit Blut unterlaufen waren.
E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.