Leidikon ist ein kleines Dörfchen, welches zur Fricktaler Gemeinde Sulz gehört. In der dortigen Mühle diente ein Sohn armer Leute und hielt sich anfangs so fleissig, dass man ihm nach und nach das ganze Hauswesen anvertraute. Darüber erwachte seine Habsucht und aus dem treuen Knechte ward ein gefährlicher Dieb. Er verkaufte heimlich vom Werkgeräte, stahl dem Meister die Frucht, vergipste den Kunden das Mehl und brachte das Geschäft in Misskredit. Der Müller kam in Schulden und wurde endlich um Hab und Gut gepfändet. Nun aber übernahm der Knecht das Anwesen; den einen Teil des Kaufschillings erlegte er aus seinen Ersparnissen, und den Rest hoffte er aus dem Vermögen eines Mädchens nachzuzahlen, um das er gerade freite. So wie er das begehrte Weib bekommen hatte, sann er auf alle möglichen Streiche und Plagen, um ihr das Leben zu verleiden. Sogar ins Bett streute er ihr Erbsen, wenn sie gerade in den Wochen lag, und Erbsen auf die Stiege, wenn sie wieder aus dem Wochenbette war, damit sie sich totstürze. Je eher sie gestorben wäre, um so schneller wäre ihm der Alleinbesitz ihres Weibergutes zugefallen, das jetzt noch hinter ihrer Verwandtschaft lag. Gleichwohl überlebte sie ihn. Denn da er auch jetzt seine frühern Betrügereien forttrieb und allen Kunden das Mahlkorn veruntreute, so erging es ihm wie einst seinem Meister, und in kurzer Zeit war die Mühle wieder völlig gemieden. Der Verdruss darüber brachte ihn um.
Die Familie meinte mit seinem Tode alles Unfriedens los zu sein und suchte durch Redlichkeit und Fleiss das gesunkene Vertrauen wieder zu gewinnen. Zwei rüstige Söhne übernahmen das Geschäft. Aber auch hierin sah man sich arg getäuscht. Denn schon in der zweiten Nacht nach des Müllers Tode gewahrte der eine Sohn den Verstorbenen, wie derselbe in einer erschrecklichen Gestalt zwischen den Mahlgängen hin und her schwankte. Aber damit war es noch nicht genug. Der Unhold störte und hemmte alle Arbeit durch die boshaftesten Streiche. Manchmal leitete er das Wasser vom Mühlenkennel so schlau und verborgen ab, dass es nicht geringer Zeit und Mühe bedurfte, um es wieder zu fassen und das stockende Werk neu in Gang zu bringen. Nun ging mit Zustimmung der Familie der eine Sohn nach Muri und holte aus dortigem Stifte einen Benediktiner herbei, der den gefährlichen Geist hinwegschwören sollte. Dieser aber wich nicht, sondern erhob im Gegenteil gegen den bannenden Mönch die beschämendsten Vorwürfe. Man rief daher noch einen zweiten Banner herbei aus dem Kapuzinerkloster zu Laufenburg. Als der Geist vermerkte, dass diesem wirklich Gewalt und Recht zustehe, ihn auszujagen, so begann er eine Unterhandlung. Er versprach zu weichen, dagegen aber verlangte er die Gewähr, seinem Hause alljährlich um einen Mannsschritt sich wieder nähern zu dürfen. Der Kapuziner fand dies nicht ganz verwerflich, beschränkte es aber doch auf einen jährlichen Hahnenschritt. Hierauf wurde er in ein Schoppenglas hineingeschworen, und sein Sohn trug dasselbe in den Wald hinaus; doch fand er es von so besonders grossem Gewichte, dass er auf der kurzen Wegstrecke wiederholt niedersitzen und ausruhen musste. Zwischen der Mühle und der Rheinstrasse liegt, von beiden eine gute Viertelstunde ab, der Wolfesgraben mit einer tiefen Höhle, die nur einen ganz kleinen und verborgenen Zugang hat. Dort hinein versenkte man das Gefäss und verschloss das Höhlenloch mit einer Glasscheibe. Man sagt, von da an habe man in der Höhle bei Tage eine Kerze brennen, den Geist aber in Gestalt einer grossen Kröte neben der Öffnung sitzen sehen. Ein rüstiger Bursche, der in der Nähe des Wolfesgrabens oft das Vieh hütete, glaubte nicht an die bösen Streiche des Unholdes und erkühnte sich, denselben herauszufordern; er trat an die Höhle hin und rief: „G'hörst du do inne, wenn du öppis chaist (kannst), so chumm usse! Ich nimm's mit dir uf." Es erschien zwar nichts und nur ein Ächzen und Stöhnen liess sich drunten vernehmen; aber der Bursche kam mit einem geschwollenen Kopfe heim und die eklige Verunstaltung ist ihm auch verblieben. Ein alter Mann weiss noch, wie sein eigner Vater einst nachts beim Mondschein in der Nähe der Höhle pflügte, und wie da der Geist, ein hagerer, schwarz gekleideter Mann, herbeikam und ein paar Furchen weit hinter dem Pfluge drein lief. Zuletzt als er beim Kehren der Pflugochsen stehen blieb und diese gar mit der Hand über den Rücken hinab streichelte, bekam der Vater Angst für seine Tiere und er begann: „Bist e Guete, so red; bist e böse, so schwig!“ Statt der Antwort erhielt er hierauf eine solche Ohrfeige, dass er seine Kappe am Boden suchen musste. Darüber war der Geist verschwunden.
Nach der Meinung älterer Leute in Leidikon ist er nun dem Dorfe wieder ziemlich nahe gekommen. Die jetzige Magd in der Mühle behauptet, sie habe ihn schon etliche Male um Mitternacht in Gestalt eines grossen schwarzen Hundes im Dorfbache laufen sehen.
E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch