Wer von dem Dörfchen Linn am Bözberge südwestlich sich wendet gegen die aufsteigenden Höhen, der kommt an einen Wald, der recht eigentlich in seiner Mitte eine lustige Wiese hat. Der schöne Wald war ein uraltes Eigentum der Linner, aber ihre Urkunden darüber waren längst verloren oder in der Gemeindekiste verfault. Nun hatten die Thalheimer, die jenseits des Berges wohnen, ihr Auge ebenfalls auf dieses Besitztum geworfen, und wie man sie jetzt noch Hegel und Wetzer heisst, so hieben sie sich da nun ungefragt ihr Holz und frevelten so frech, dass man sie in Thalheim beim Vogte anklagte. Da aber hiess es nun gar: der Wald ist der Thalheimer. Die Linner aber liessen es nun auf einen Landtag ankommen und der Vogt sollte entscheiden. Mitten im Walde auf der schönen Wiese versammeln sich beide Gemeinden; wer unten nicht Platz findet, steigt auf die Bäume, die Äste wimmeln und schwanken von Zuschauern. Plötzlich wird's stille, es bildet sich durch die Menge ein Weg und hoch zu Ross zieht der Landvogt, mit dem Federhut auf dem Haupte, hindurch und auf das Gerüste los, das im Kreise für ihn aufgezimmert ist. Er sitzt ab, aber die Bühne besteigt er nicht, damit man den Schwur ja nicht missdeute, den er jetzt sprechen soll. Nun erhebt er die Hand und streckt drei Finger auf, alles zieht den Hut, nur er bleibt bedeckten Hauptes und spricht: „Bürger von Linn und Thalheim, höret! So wahr ich meinen Schöpfer und Richter über mir habe, so wahr stehe ich hier auf dem meinen und der Thalheimer Grund und Boden!" Sogleich verliessen alle Linner in höchster Entrüstung die Gerichtsstätte; aber schon am nächsten Morgen kam die Nachricht, es sei der meineidige Vogt auf dem Heimritte vom Blitz erschlagen worden. Als seine Getreuen ihm beistehen wollten, fanden sie in seinen Stulpstiefeln Erde, die er nach dem Wortlaute seines Eidschwures im Thalheimer Schlossgarten drein gefüllt hatte, und unter dem Federhute stak Kamm und Schöpflöffel, die man Richter und Schöpfer nennt. Seitdem spukt es in dem freundlichen Walde, der Landvogt durchreitet ihn nachts und ruft nach allen Seiten ein wildes Hohop!
Ähnliches erzählt man in Linn über den Wald Gättibuch, der an der Grenze des Linner Gemeindewaldes liegt, mit in die Dorfgemarkung gehört hat, seit langem aber das Eigentum des Dorfes Schinznach ist. Der Landvogt von Casteln, der aus seinem Schinznacher Schlossgarten Erde in den Stiefeln mittrug, unter der Alongenperücke aber seines Sennknechtes Kamm (Richter) und Kelle (Schöpfer), leistete für die reichen Schinznacher den falschen Eid. Seither reitet er alljährlich in der Frist des Landtages durchs Gättibuch; sein Pferd ist wie das mit ihm laufende Hündchen schneeweiss, in gebrochenen Worten stösst er seine falsche Schwurformel unaufhörlich aus. Weil man aber nun nicht mehr an diese Erscheinung glaubt und sie nur auf die Einbildung derjenigen schiebt, welche zu viel trinken, so sagt man dort mit einem Scherzsprüchlein:
Im Gättibuch isch nid gar schön,
es hed so schwarze Büschli;
Mandli, wenn d’ is Wirtshûs gohst,
se bring mer nu kes Rüeschli!
E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch