Der Stiefelireiter von Muri war nicht bloß ein boshaftes und jähzorniges Männchen, er war auch ein Religionsspötter und Rechtsverdreher. Er speite die Flurkreuze am Wege an und beschädigte sogar noch die Landleute, die solche frisch errichteten; da stahl er ihnen nachts das Heu, holte im Baumgarten das Obst aus den Zweigen herunter und hob ihnen die Scheiterbeigen ab. Und weil er beim Abt von Muri im besten Ansehen stand, so wagte niemand ihn zu verklagen, und sein Unwesen wurde immer größer.
Jenseits Schongau auf Luzerner Grund wohnte eine fromme Person, die in ihren alten Tagen ihr hübsches Bauerngut der Abtei Muri vermachte. Das war dem habsüchtigen Stiefelireiter ganz erwünscht, sogleich ritt er auf jenen Hof hinauf und durchmusterte ihn. Dann trat er ins Haus ein, wo die alte Frau eben bei der Suppe saß, und erklärte ihr, die Besitzung sei für das Kloster nicht sehr von Nutzen, so lange dieselbe noch durch ein kleines dazwischenliegendes Gütchen unterbrochen werde, das notwendig mit zum ganzen Bauernhofe gehöre; die Frau möge also zum Frommen des Klosters und ihres eignen Seelenheils durch einen Beisatz in ihrem Testamente es verschaffen, dass dieses Gütchen mit in das Erbe des Stiftes falle. Darüber wurde die Frau so aufgebracht, dass sie von ihrer Suppe aufstand und dem Stiefeli mit kurzen Worten die Türe wies. Denn eben jenes Gütchen, das nur aus ein paar Wiesen und Äckern bestand, gehörte ihrer Bruderstochter, die hier in einer Strohhütte wohnte, und gerade in der sorgsamen Absicht, diese verlassene Frau in ihrer ärmlichen Hütte auch später noch geschützt zu wissen, hatte die Schongauerin im Testamente das Kloster zum alleinigen Gutsnachbar ihrer Anverwandten gemacht. Der Stiefeli aber wusste sich hierin zu helfen. Er bemächtigte sich der Pergamentrolle, welche die Schongauer Vergabung enthielt, und da er sich schon frühzeitig mit Erfolg auf die Nachbildung aller möglichen Handschriften verlegt hatte, so setzte er mit glücklich verstellter Hand zwischen Text und Unterschrift des Testamentes jener Schenkung noch die Worte hinzu: „samt dem Hüttlein und dem Gute, das bis dahin meines Bruders Tochter inne gehabt hat." Bald kam es nach dem Tode der Stifterin über die verfälschte Urkunde zum Rechtsstreit, aber der Stiefeli beendigte ihn damit, dass er auf dem strittigen Grundstück den Eid ablegte „so wahr sein Schöpfer und Richter über ihm, so wahr stehe er auf des Klosters Grund und Boden." Kaum war der Schwur heraus, so stieß er einen Wehschrei aus und wälzte sich in Todeszuckungen auf dem Wieslande herum. Als man ihm die Kleider aufknöpfte, sah man, dass es sein falscher Schwur war, der ihm den Hals gebrochen hatte; denn in seiner Kappe fand man Schöpfer und Richter (Löffel und Kamm) versteckt, seine Stiefel aber waren mit Erde aus dem Klostergarten von Muri angefüllt.
Nun ist er zum Landesgespenst geworden, das mit verdrehtem Haupte auf einem Schimmel nachts auf allen Feld- und Waldwegen umher reitet.
E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.