Wenn die Leute der um das Stift Muri liegenden Gemeinden diesem Kloster Frondienste zu tun hatten, so stellte sich auch regelmässig ein Mann bei ihnen ein in sehr hohen gewaltigen Stiefeln, und schlug mit einer Peitsche grausam auf die müden Tauner los. Er hiess Stiefelirüter und soll der Klosterschaffner gewesen sein. Ganze Dörfer brachte er um ihr Gemeindegut. Der Gemeinde Merenschwand machte er den Besitz des schönen Maiholzes bei Muri streitig, der Gemeinde Müswangen das Recht auf die Waldung Schlatt. Der Stadt Bremgarten spielte er das gleiche Stücklein, und wieder umgekehrt soll er als Bremgartens Advokat die Gemeinde Wohlen um ihren Wald betrogen haben; immer und überall mit Glück. Denn da die Leute unter des Klosters Gerichtsbarkeit gehörten, so fiel der Rechtsspruch nicht bloss regelmässig zu ihrem Nachteil aus, sondern sie mussten zu ihrem verlornen Gemeindegut auch noch die aufgelaufenen Prozesskosten bezahlen. So trieb der Schaffner seine Kniffe bis in sein siebenzigstes Jahr fort und muss nun dafür auf den unrecht erworbenen Klostergütern umgehen. Bald reitet er auf einem Schimmel im Eichholz und heisst davon Schimmelrüter; bald hopt (ruft) er im Breithau, bald dröhnt die Reussbrücke in Bremgarten unter dem Hufschlage seines Rosses, dass man es bis zum Kreuzwirt hinein hört. Alsdann holt er sich in der alten Schaffnerei daselbst, die sonst zu Muris Besitzungen gehörte, einen Gaul aus der Stallung heraus. Über die Ringmauer des Klosters Muri sprengt er mit seinem Rosse in einem Satze weg, und alle Jahre muss ihm dort im Klosterstalle ein frischer Gaul bereit stehen. Bald geht er durch den Wald von Bünzen, als ein zaundürrer langer Kerl, dem das Einmaleins zu den Augen herausschaut; bald reitet er auf dem Schimmel ins Maiengrün und wird dann in der Gegend von Hägglingen der Markstaller genannt; bald läuft er im Rohrdorfer Moos herum und heisst dann wegen seines Schreiens Hopelirüter.
Die Mönche haben Messen für ihn gestiftet und dadurch den Graus seiner Erscheinung etwas gemildert, auch macht er seit einigen Jahren nicht mehr so viel Lärm wie früher; doch auch jetzt noch hört man von älteren Leuten Verwünschungen gegen diesen Stiefeli ausstossen, deren Eltern oder Grosseltern seine Zeitgenossen gewesen und einst von ihm misshandelt worden sein sollen. Denn man will fest behaupten, er habe im Jahre 1740 noch gelebt. Ja, im Kanton St. Gallen soll jetzt noch ein Mann leben des Namens Stiefelirüter, und wenn man nur wüsste, ob er wirklich des Klostervogtes Sohn oder Enkel ist, so würde man ihn auch nicht mit heiler Haut selig werden lassen.
E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch