Das Stiftbuch des Klosters Muri erzählt, wie in frühesten Zeiten freie Bauern in den Ortschaften zu Buttwil, Geltwil und Wallenschwil gewohnt, Freie ihr Land zu Wohlen bebaut hätten, wie der Ort Muri schon vor dem Jahre 1024 seine eigne Taufkirche besessen habe. Die Landesgeschichte und Sage aber dieses Teils des Freiamts berichtet, wie eben diese Ortschaften um ihr Recht und dann um ihr Eigentum gebracht worden sind.
Es hatte sich ein elsässischer Graf Guntram in eine Verschwörung gegen Kaiser Otto I. eingelassen, verlor darüber seine Lehen und kam in die Acht. Er zog sich nun auf ein kleines Erbgut zurück, das auf der Landzunge beim Zusammenflusse von Aare und Reuss im Aargau gelegen war und heute noch Im Eigen genannt wird. Hier nahm er von den Ruinen zu Altenburg und Habsburg den Namen an, baute sich alsdann auch in den Freien Ämtern ein Herrenhaus und mischte sich als neuer Landgraf in die Zwistigkeiten der Leute um Muri und Althäusern. Diese unerfahrenen Leute wählten ihn öfters zum Schiedsrichter. Allein damit hatten sie, nach dem Ausdrucke der Klosterchronik, gerade der Katze den Speck empfohlen. Er wusste sie so zu belisten, dass die Gemeinden bald nicht mehr in ihren eignen Waldungen holzen durften; und die einzelnen Bauern, die ihm anfangs das Land rodeten oder es von ihm in Zins nahmen, machte er nach und nach zu Leuten seines Bodens. Seine Söhne setzten diese Erpressungen fort und die Enkel steigerten sie noch. Als Graf Ratbot die Gräfin Ida von Lothringen zum Weibe nahm, schenkte er ihr das Freiamt zur Morgengabe, als ob es ihm schon seit ewig gehörte. Darüber ergrimmte nun aber in gleich grosser Habsucht sein Bruder Rudolf, es kam zwischen beiden zu Fehden und sie äscherten sich gegenseitig die Dörfer ein, über deren Teilung sie nicht einig werden konnten. Mittlerweile war jene Lothringer Gräfin Ida im Aargau angekommen, und da sie das Land bis Zofingen hin verwüsten sah und die Städtchen Aarau und Brugg in Flammen aufgehen, fragte sie dem Grunde dieser betrübenden Ereignisse nach. Aus dem Munde Werners, des dritten und jüngsten der Brüder, der unbeteiligt als Bischof zu Strassburg lebte, erfuhr sie das alte, schon vom Ahnherrn des Hauses begangene Unrecht. Die menschlich fühlende Frau entsetzte sich darüber, aber nach dem Begriffsmasse ihrer Zeit glaubte sie nun, das Böse zu sühnen und noch drüber hinaus Gutes zu tun, wenn sie den Raub, anstatt ihn den beraubten Bauern zurückzugeben, zum Aufbau eines Klosters verwende. So gründete sie auf eben jenen Ländereien, die ihr zur Brautgabe geschenkt waren, die Benediktiner-Abtei Muri im Jahre 1018.
Die ganze weitere Geschichte dieses Stiftes und der umliegenden Landschaft ist in den Worten eines Mönches enthalten, der die Klosterchronik von Muri geschrieben hat. Dieselbe ist begonnen im Jahre 1145, und da ihr zweiter Fortsetzer im Jahre 1210 auf die neuen Gewalttätigkeiten seines Convents gegenüber der damaligen Bevölkerung zu sprechen kommt, ruft er mit Unwillen aus: „Was soll's denn helfen, dass es nun der Mönch verzehrt, was der Räuber gestohlen hat!“ - „Cogitet, quid prosit, si latro rapiat, et monachus comedat.“ Frid. Kopp, Acta Murens. - Das Kloster aber war mit der ursprünglichen Schenkung keineswegs zufrieden; schon der erste Abt Rupert kaufte der Grafenfamilie allen rechtmässigen und unrechtmässigen Landbesitz in der Umgegend um einige hundert Pfund Silber ab, und da sich der Kaufschilling hiefür nicht augenblicklich aufbringen liess, so machte er nun dieselben metallenen Kruzifixe, Kelche und Reliquienschreine wieder zu Geld, welche so eben neu von den frommen Frauen Ida und Euphemia dem Kloster vergabt worden waren. Auch jetzt noch gab es einige freie Leute in jenem Landstriche. Aber ein von Gott gezeichneter Bösewicht aus dem gierigen Geschlechte der Gerunge trat nun dort gegen seine eignen Landsleute auf, bedrängte sie zu Gunsten des Stiftes, stiess sie von ihrem Erbe und trieb sie endlich ganz zum Lande hinaus. Er ist darüber hernach von ihrer einem umgebracht worden. Die Klosterchronik erzählt auch von dieser Schandtat, allein sie tut es mit folgenden Worten des Mitbeteiligten: „Die zwei letzten Freien sind bei uns Brüder geworden, die übrigen sind in den Bifang unseres Klosterbodens hereingezogen und haben uns das ihre zugebracht; und nur diejenigen Güter, die zuletzt Gerung raubte, stehen noch im Streite, ob sie uns oder deren Erben gehören.“
Dieser Streit war bald zu Gunsten des Convents entschieden. So ist es auch nachher geblieben. Der Abt wurde sogar in den Fürstenstand des Reiches erhoben, aus welchem sein weltlicher Vorfahr einst als Verschwörer ausgestossen worden war; und den Unterdrückten verblieb von ihrem Rechte nichts als, wie zum Hohne, der historische Namen Freie Ämter.
E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch