Graf Rudolf von Erlach war der Schweizer-Feldherr gewesen in den grossen Schlachten, die das Land gegen den auswärtigen Feind siegreich bestand. Zu seinem Schlosse Castelen, das in einem Jurathale gegen die Aare hin oberhalb Schinznach liegt, hatte er sich auch die Bilger-Sennenhöfe gekauft. Diese sind auf der dem obern Frickthale zugekehrten Jurawand in der Höhe der Wasserscheide gelegen und bilden heute achterlei verschiedene Bauernhöfe, die man in die beiden Gruppen des innern und des äussern Bilger theilt. Die Höfe des innern Bilger, an denen die nachfolgende Erzählung haftet, heissen der Reihe nach Kohlwald, Kalkdarren, Kammer, Saal, Gottlisacker und Böpperler. Bei ihnen nimmt der Wölfliswiler Bach seinen Ursprung, der als Oerken nach Frick hinabfliesst und den Thalgeist des Oerkenthieres in sich wohnen hat.
Beim letztgenannten Hofe Böpperler, der jetzt einem Lenzi gehört, ist die Stelle des alten Sennhauses, das vor Jahrhunderten allein noch in dieser Bergeinsamkeit stand. Hier pflegte Rudolf von Erlach in seinen alten Tagen den Sommer und Herbst über Ruhe und Frieden zu suchen; zwei Knechte und zwei grosse Jagdhunde machten dann seine ganze Umgebung aus, und Niemand störte ihn in dieser Zurückgezogenheit, wenn nicht zuweilen der ungebetene Rudenz erschien, sein Schwiegersohn, der jenseits der Aare oben im Ruederthale auf dem Schlosse Rued wohnte. Dieser hatte Erlachs einzige Tochter zur Frau bekommen und mit ihr grosse Reichthümer; aber er war ein Trunkenbold, der, nachdem er Besitz und häusliches Glück verschleudert und verscherzt hatte, nun dem greisen Schwiegervater zur Last fiel. Zu wiederholten Malen schon hatte der Alte für den leichtsinnigen Verschwender einstehen müssen; heute an einem Herbsttage erschien Rudenz mit dem gleichen Anliegen wieder hier oben. Als er zu ihm in die Stube trat, hatte Erlach eben Mittagsruhe gehalten und lag noch auf dem Feldbette, seine beiden Doggen vor ihm. Niemand sonst war auf dem Hofe, die zwei Diener jagten draussen im Walde.
Rudenz begann mit seinem bekannten Begehren, wiederholte es und sah sich wiederholt und entschieden abgewiesen. Da sprang er nach Erlachs Heldenschwert, das ob dem Bette an der Wand hieng und schlug dem Greise das Haupt in einem Hiebe ab. Dann entfloh er das Gebirg herab zur Aare und wollte diese überschwimmen, aber heulend verfolgten ihn die beiden Doggen und machten ihm überall das Ufer streitig. So konnte er sein Schloss Rued nicht erreichen und wendete fliehend sich wieder dem Gebirge zu. Immer die Hunde an den Fersen, gewann er das Versteck einer einzeln stehenden Heuscheune bei den Innern Bilgern, warf die Thüre zu und verkroch sich ins Heu. Auch hier spürten ihn die Hunde auf. Mit gefletschten Zähnen hielten sie draussen vor der Hütte Wache, ihr Geheul durchdrang den ganzen Berg, in kürzester Zeit musste es Rudolfs beide Knechte hier herauf locken. So sah er sich gefangen und verrathen und erhieng sich.
Diese Scheune liegt oberhalb dem Hause, das jetzt dem Bauern Bitterli angehört, er hat sich aber eine neue gebaut und lässt die alte ungebraucht stehen; denn durch diese zieht manche Nacht ein unerträglich Brüllen, Wehschreien und Toben. In diesen unsäglich wüsten Lärmen mischt sich auch das Locken der Hunde, das Blasen der Hörner, der Jagdschrei hup, hup! Dann rollt ss sich aus dem Heustadel gerade übers Gebirg hinab in den Thalbach. Sogleich darnach bricht dann Donnerwetter und Wasserguss über das Thal von Oberhofen herein. Die dortige Bevölkerung verwechselt schon lange die Personen dieser Sage mit einander, sowie die Stimmen auf der Höhe und das losbrechende Unwetter, darum wird dorten alles dieses zusammen der Erlacher genannt.
In neuerer Zeit hat ein Bauer aus Wölfliswil den Erlacher auszukunden versucht. Er stand in der Hargetwaldung in der Nähe, wo jener früheste Sennhof gelegen hat, und hörte dem Branden der obern Luft zu, das anschwellend in den Hochwald herein fiel. Uebermüthig riss er einen Büschel langstieligen Mooses vom nächsten Markstein, das man Baumbart nennt, hielt sich's ans Kinn und schrie in den Wald hinein: itz, Erlacher, channst go luege! Wo bist? Itz han i en bart wie du! Darauf soll ein Mann mit einem sehr hohen Federbusch ihm entgegen getreten sein, und der Wölfliswiler entlief. Die Folge davon aber war, dass er mit einem geschwollenen Kopfe heim kam und bei acht Tagen sich im Bette halten musste.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch