Die Höhe, an welcher Moosleerau liegt, wird der Stierengarten genannt. In einer kleinen Schlucht auf der Ostseite dieser Anhöhe, gegenüber dem Rossrückenberge, hatten sich die Burgherren dieser Gegend einen Tierzwinger angelegt und belustigten sich damit, die armen Leute drunten mit den wilden Bestien kämpfen zu lassen. Von einem Weibe erzählt man, die einst weit hergelaufen kam und den Ritter fussfällig um das Leben ihres gefangenen Mannes anflehen wollte, die aber in dem gleichen Augenblicke sehen musste, wie der Unglückliche im Burggraben von einem Bären zerrissen wurde.
Weiter hinauf am Bergrücken liegt ein kleines Stück fruchtbares Land, d'Hell geheissen; und da haben sie ihre Sklaven und Schlachtopfer verscharren lassen. Hier haust nun der Hellrüter, der letzte dieser Zwingherren. Derselbe betraf einst auf dem Felde, das man den Russerain nennt (vgl. „Die Ruesse“), einen reichen Bauern beim Pflügen, und befahl ihm augenblicklich, den Zugstier vom Pfluge zu spannen. Der Bauer kannte wohl das Ende einer solchen Forderung und verlegte sich aufs Bitten und Flehen. Als aber alle guten Worte nichts halfen, riss der Verzweifelte das Sech vom Pfluge und erschlug damit den Tyrannen, dann pflügte er ihn auf der Stelle unter die frische Ackerfurche.
Von der Zeit an sehen die dortigen Leute oft eine Kutsche mit weissen Pferden vom Berge herab bis zum Russerain fahren, und wer ihr je näher gekommen ist, will einen leichenweissen Zwingherrn mit langem Barte darin bemerkt haben.
Aber diesen traurigen Erinnerungen gegenüber bleibt es unbegreiflich, dass man auch auf dem gleichen Berge gar häufig sanfte Musik vernimmt; und dass es Saiten- und Pfeifenspiel sei, lassen sich die zunächst Wohnenden nicht ausreden. Ferner erzählen sie, wie hier ein Mann aus Aegypten gewohnt habe, welcher das erste Saatkorn in diese Weidgegenden gebracht haben soll. Der Hügel, auf dem er sich anbaute und die erste Frucht ärntete, hiess deswegen sonst das Kornhübeli, ein zierliches Berglein rings von Ackerland eingefasst, und wird nun in mundartlicher Verkürzung das Chnübeli genannt.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 126
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