Ein alter Fährmann im Städtchen zu Aarburg hängt fest an folgenden Begebenheiten, die sein Vater und er erlebt haben wollen.
Mitten in einer finstern Nacht wurde dem Vater vom gegenüber liegenden Bornberg her Hop-hop! gerufen, das Zeichen, dass jenseits der Aare Jemand herüber gefahren zu werden verlange. Der Strom, der hier die Grenze zwischen den Kantonen Solothurn und Aargau ausmacht, war damals noch ohne Brücke. Der Alte ruderte also pflichtgemäss hinüber, traf aber niemanden, und da er auf seine Mahnung, dass man sich beeilen solle, gar keine Antwort bekam, kehrte er endlich um. Mitten im Flusse meinte er jedoch, es lasse sich von der Höhe des Bornberges her derselbe Ruf und von einer Weiberstimme vernehmen; einen Augenblick später ruft es wirklich unten am Ufer, und der Schiffsmann glaubt, er sehe dorten etwas Weisses sich bewegen. Er fährt daher wieder hinüber. Da er aber zum zweiten Male niemand am Ufer finden kann, wird es ihm doch etwas wunderlich und er wendet seinen Weidling eilig heimwärts. Auch diesseits hört er zum drittenmale noch dieselbe Stimme, zugleich aber bricht ein so gewaltiger Sturm in der Luft los, dass der Fehr unfehlbar verloren gewesen wäre, wenn er noch einmal dem Rufe gefolgt wäre.
Bei dieser Erzählung wollte er nun nicht geradezu behaupten, dass dies die Bornjungfrau selbst gewesen sei; dies aber glaubte er zuversichtlich, dass sie alle hundert Jahre einmal die grossen Gewölbe im Innern des Bornberges verlasse, um in der Aare zu baden, und wer ihr alsdann folge, der habe die Wahl, ob er diejenigen Schlüssel, welche die Schatzkiste im Bornberge aufsperren, oder jene andern sich einhändigen lassen wolle, welche zu den vergrabenen Reichthümern auf der gegenüber gelegenen Wartburg verhelfen. Damit wäre dann zugleich auch die Jungfrau erlöst.
Der Sohn dieses Schiffers berichtet von sich. Im Jahre 1801 hatte ich einst noch um Mitternacht mit dem Auffangen des Treibholzes auf der Aare zu thun, welches der stark angeschwollene Strom massenhaft mit sich herab führte. Die Nacht war aber ganz hell, ich hätte die Thurmfähnchen droben auf der Festung zählen können, und mein eigenes Häuschen sammt dem Zickzack der hohen Kirchentreppe lag mir deutlich vor Augen.
Plötzlich begann droben auf dem Schlossfelsen das Gebell eines kleinen Hündchens, und als ich aufblickte, sah ich, wie dorten eine grosse gewaltige Kutsche das Hundert von Stufen über die Felsentreppen des Berges herab von der Kirche ans Ufer her gefahren kam. Die Furcht trieb mich augenblicklich heim. Nachher schämte ich mich meiner Angst und die Neugier brachte mich bald wieder aus der Stube. Da war aber von allem rein nichts mehr zu sehen. Ein Unwetter jedoch war nun losgebrochen, dass man für sein Leben zu zittern hatte. Denn nun goss es mehrere Wochen nach einander unaufhörlich vom Himmel, und zugleich fieng der Bornberg an sich zu rühren, als wollte er in die Aare herunterstürzen und sie über das ganze Städtchen wegtreiben. Als dies vorbei war, gieng erst die Noth überall im Lande los und das ganze Volk kam in Aufstand. So war noch kein Jahr herum, da sassen bereits die armen Leute, die sich gegen Napoleon hatten wehren wollen, gefangen droben auf unserer Festung.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch