Am Ende des Dorfes Döttingen kommt man zur Risi. Im steilsten Abhang geht's tief zur Aare hinab, die unten vorbeifliesst; auf der andern Seite beginnt hinter einem schmalen Stücke Bauland dichte Waldung. Einige Minuten weiter macht die Strasse eine grosse Krümmung, hüben von einem Abgrunde voll Wildniss und Steintrümmer, drüben von Waldung und neuen Schluchten begrenzt.
Hier hat der berüchtigte Giigelispanner gehaust. Von seinem Hause auf der Risi droben ist er jeden Abend hieher gegangen, wenn er Kaufleute auf der Reise zur Zurzacher-Messe vermuthete. Hier sass er beharrlich an der Stelle, wo kein Fuhrwerk rasch ausweichen kann, ohne dass es Gefahr läuft, in die Tiefe zu stürzen, und wo kein Fussgänger so flink entsprang, dass ihm nicht der Lauerer da gleich wieder den Weg abgeschnitten hatte. Wie ein Bettelmann fieng er dann ein Schlemperlied an zu geigen und wartete die Mildthätigkeit des Reisenden tückisch ab; kaum aber machte der die erste Bewegung, ihm ein Almosen darzureichen, so war er auch schon mit einem Messer durchstochen. Der Bösewicht raubte ihn aus und stürzte ihn dann entweder in den Abgrund, wo ihn die wilden Thiere frassen, oder schleifte ihn hinter in die Tiefe des Waldes, wo für manchen schon lange eine Grube vorgearbeitet war. Heute noch stehen dort aus jener Zeit solcherlei Unheilskreuze.
Als er eines Abends hier wieder mit der Geige sass, hörte er den unerwarteten Zuruf: Komm! - Ja! antwortete er sogleich. Zuruf und Antwort folgte noch zweimal auf gleiche Weise hinter einander, dann blieb's stille. Etwas nachdenklich suchte jetzt der Räuber sein Haus. Doch am andern Abend schon hatte ihn Neugier oder der Reiz der Gefahr wieder an die Stelle geführt und noch dringlicher rief es ihm heute: So komm doch! Jetzt galt's; denn er wusste, dass es des Teufels Stimme war. Entschlossen rief er dagegen: Wohl, heute! nahm seine Geige vom Boden auf, gieng fidelnd auf die Risi und sprang von ihr hinab in die Aare.
Die Döttinger erzählen seither viel Neues von ihm. Noch sitze er am alten Mordplatze. Zu bestimmten Zeiten vernehme man da wehmüthige langgezogene Geigentöne oder einen tieftrauernden Gesang; dann aber schliesse es mit einem frechen Abstrich und gleich drauf ziehe ein Sausen wild über Weg und Wald. Man geht und fährt da noch nicht ohne Behutsamkeit vorbei. Namentlich die Rosse scheuen, und es hat auf dieser Strecke noch jüngst von Amtswegen eine bessere Vorsorge getroffen werden müssen.
Ein anderer Giigelispanner haust um Klingnau auf den Kiesbänken der Aare und in der umliegenden Waldung. Er soll ein sehr rechtschaffener Mann gewesen sein. Weil er sich aber in der Aare beim Grien ertränkte, so liess man ihn dem Gesetze gemäss auf diesen Aar-Inseln verscharren. Nun neckt er die Leute auf den Feldern.
Wenn jetzt der Giigelispanner käme! sagten einst drei Holzfrevler zu einander, während sie nachts Eichen stöckten und sich den Schrecken vor dem Bannwart auszureden suchten. Kaum war das Wort heraus, so folgte die Strafe. Sie wurden von der Räude befallen und mussten die juckende Haut so lange reiben und kratzen, dass ihnen das Blut den Leib herunter rann.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch