Wenn man auf der Strasse zwischen den Städten Lenzburg und Baden gegen das kleine Dorf Mägenweil kommt, so sieht man zu beiden Seiten des Weges grosse Granitblöcke in Menge weit in die Felder hinein liegen. Eine viel grössere Zahl ist seit einem Menschenalter aus dem fruchtbaren Kornlande herausgeschafft, zerschlagen oder gesprengt worden. Manch freundliches Wohnhaus in der Nachbarschaft ist daraus gebaut. Das Volk sagt von diesen Felsenmassen, es sei hier einst ein Steinregen nieder gegangen.
Die Dorfchroniken hingegen erzählen, dass schon die Römer mit diesen Blöcken die Militärstrassen und Wasserleitungen aufgeführt haben, die hier herum nach Windisch und nach Baden hin gehen. Noch ist ein besonders grosser Granitkegel links im Felde drinnen, der über seine nächsten Kirschenbäume hinaussieht; derselbe soll einst noch viel gewaltiger gewesen sein, so dass man ihn nicht aus dem Wege zu schaffen wusste. Die Römer, die ihre Strassen schnurgerade zu machen pflegten, mussten ihn deshalb zerklüften, um an ihm vorbei zu kommen, und was heute noch von ihm übrig ist, war ihnen dann nur der Weisstein.
Ein solcher Block liegt auch im Walde Linth, zwischen dem Dorfe Othmarsingen und Lenzburg. Der spitz zulaufende Fels ist gegen 30 bis 40 Ellen lang und bei 15 Ellen hoch und breit; seine noch beträchtlichere Masse scheint er in den Boden zu versenken. Die mächtigen Stämme der Eichen und Buchen, die ihn umstehen, auf Tagereisen weit die edelstgewachsenen Bäume, geben ihm ein gar stattliches Aussehen. Man nennt ihn die Fischbank; er soll zur Heidenzeit den Mittelpunkt des Marktplatzes von Lenzburg ausgemacht und auf ihm sollen die Fischweiber ihre lebendige Waare feilgeboten haben. Aehnliche Felsenlasten, wie dieser, krönen den Scheitel des Berges, auf welchem das ausgedehnte Schloss von Lenzburg liegt; auch sie sollen von den Heiden dort hinauf getragen worden sein.
Am Othmarsinger Wegrain stösst man des Nachts öfters auf einen unbekannten Mann, der neben der dortigen Ruhebank im Grase liegt, oder den Leuten aus dem Walde heraus entgegen tritt. Er trägt seinen Kopf unterm Arm. Um Fraufasten und wenn der Mond neu wird, geht er gegen das Dorf hin bis zum sogen. Galgenrain. Dann ist es Zeit ihm auszuweichen, sonst schwillt man an, als ob man in einen bösen Wind gekommen wäre. Der Mann, sagt man, umgeht die Römerstadt Namens Lenz, die einstens hier gewesen, und zwar von diesem Platze aus, wo der Heidengalgen war.
Hier fährt auch eine Geisterkutsche. Vor einigen Jahren aber ist sie von ihrem gewöhnlichen Wege abgewichen und im Lenzhard gesehen worden, einer näher bei Lenzburg gelegenen Waldung, in welcher das Volk eine Schatzgrube vermuthet. Die Kutsche ist im Rococogeschmack gebaut und wird von vier Rappen gezogen. Drinnen sitzt ein Herr mit zwei schwarz gekleideten Damen in Reifröcken und hoher Frisur. Vorn und hinten auf stehen Bediente. Sie fährt durch die dichtesten Gebüsche und ohne Hinderniss die steilen Abhänge auf und ab. Geleise läßt sie nicht zurück.
Zwei Männer, die des Geldes sehr benöthigt waren, hatten sich hieher begeben, um den berufenen Schatz zu heben. Sie waren entschlossen, kein Wort zu reden und keinen Mucks zu machen, wenn nun auch die seltsamsten Erscheinungen kommen sollten. Alsbald zogen elf Männer der Reihe nach bei ihnen vorbei; jeder trieb sein eigenes Handwerk und führte es in Kürze auf; sie zimmerten, schmiedeten, pflasterten, metzten. Unbeirrt sahen die beiden Schatzgräber allem zu und warteten nur, ob der Schatz bald empor steigen werde. Nun trat der Zwölfte auf, einer vom Handwerke der Schleifer. Dieser hob ein steinaltes Weib aus seinem Tragkorbe heraus und setzte es mit dem Rücken an sein Drehrad, um ihr nun aufs Umständlichste den Allerwerthesten zu schleifen. „Wär' doch ämel au das Donners-Füdli-Schlîfe verbî“ rief in seiner Ungeduld endlich der eine Kamerad, und augenblicklich war Alles ringsum zerstoben. Die beiden sollen räudig heimgekommen sein.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch