Zwischen den Jahren 1740 und 1750 entstand zu Suhr im Dorfe ein allgemeiner Lärm, es führe aus dem dortigen Pfarrhause ein alter Gang unter der Kirche hinweg in ein Schatzgewölbe des Kirchberges, worin die Heidenpfaffen neben andern Kostbarkeiten und Kleinodien jenes goldene Kalb verborgen hätten, das sie aus dem wüsten Arabien mit sich nach Deutschland gebracht haben sollen.
Die damaligen Tonangeber im Orte, die vielleicht ihrem Pfarrer nicht gewogen waren, aber das öde Gerücht so weit benützten, als es ihrem Streben nach Einfluss dienlich schien, rückten alsbald mit dem Antrage heraus, von Gemeinde wegen nach diesen unerschöpflichen Reichthümern im Berge graben zu lassen. Als ihnen die Mehrheit der Ortsbürger beistimmte, fieng man die Arbeit wirklich an. Man begann auf jener Seite des Chores den Boden aufzubrechen, auf welcher die Gerichtsmänner und Gemeindeältesten ihre Kirchenstühle hatten. Nach einigem Schaufeln traf man auf eine ungewöhnlich grosse rohe Steinplatte; für einen blossen Grabstein war sie viel zu gross, hinter ihr fand sich ein weiter leerer Raum, der von Schutt und Erde auffallend rein gehalten schien, also grub man um so frischer drauf los. Endlich gerieth man an die Quadern einer abwärts führenden Treppe. Der Jubel war gross, aber kurz, denn trotz alles Widerspruches der Steifgläubigen musste man zuletzt diese Treppe doch nur für ein Stück derjenigen erkennen, von der ein Jeder schon gewusst und um die sich Keiner mehr gekümmert hatte. Sie hatte nämlich zu den alten Gefängnissen geführt, welche die Berner-Herrschaft während des schweizerischen Bauernkrieges in den Sandsteinklüften dieses Kirchberges für die Aufrührer des Ober-Aargaus angelegt hatte. Diese schlechten Keichen verfielen nachher wieder und wurden zugeschüttet, einige davon benutzte der zunächst Wohnende auch als Nothkeller, und so stiess die übriggebliebene Treppe hier noch an die Kellerwand des Pfarrhofes an.
Nun musste man das goldene Kalb sammt allen übrigen Schätzen freilich im Stiche lassen. Der Schluss des lächerlichen Unternehmens blieb jedoch gleich sonderbar. Denn wer sollte nun die Kosten tragen, wer den durchwühlten Boden wieder ausfüllen und das Kirchenchor frisch belegen lassen? Jene ursprünglichen Rathgeber waren schlau genug, allerlei Gerede zu verbreiten, durch welches sie kostenfrei ausgiengen. Denn die einen erinnerten sich plötzlich wieder, wie hier im Dorfe die Berner Reiter einst gehaust, gesengt und geplündert hatten; wie viele arme Bauern zu Suhr und zu Entfelden an die Dorflinde gehenkt oder in diese Berglöcher geschmissen worden waren; die andern aber behaupteten, diese unterirdischen Gänge stammten doch von den Heidenpriestern her, die hier gewohnt hätten, und die Ortspfarrer von Suhr seien mit diesen und andern heimlichen Dingen des Kirchberges schon von jeher nothwendig vertraut gewesen. Kurz der damalige Pfarrer Rufli wurde durch einen zweiten Gemeindebeschluss angehalten, diesen Gang vom Pfarrhause bis unter die Kirche auf seine Kosten vermauern zu lassen. Um des Friedens willen fügte sich zuletzt der gute Mann.
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 101
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.