In Tägerfelden steht ein verfallenes Schlösslein mit einem dazu gehörenden Wiesengrunde, der die Schlossbreite heisst. Hier läuft jeden Samstag mit dem Klang der Betzeitglocke ein Mutterschwein, die Moor Moritz, und führt ihre zehn Ferkel mit sich. Es kommt aus jenem Theile des Schlösschens hervor, der ehemals die Stallungen ausgemacht hat, jetzt aber nur aus ein paar überdachten Mauern besteht und der Gemeinde zum Holzschuppen dienen muss. Es nimmt seinen Weg bis zum Chile-Rainli, einem Abhange, welcher zur Schlosskapelle gehört, und geht von da wieder heim. Es hat die Farbe der sogenannten Zweibrücker-Zucht, nämlich vorne schwarz und hinten weiss; ebenso sind auch seine Ferkel gezeichnet. Hat nun ein Vorübergehender den Muth, bis auf einige Schritte heranzutreten, so schwillt das Schwein zur Grösse einer solchen Waschwanne an, wie die sind, in welchen man geschlachtete Schweine brühet, und beginnt entsetzlich zu grunzen. Dies bedeutet, dass man zurückweichen soll. Folgt man dieser Warnung nicht, so ist man bis zum nächsten Morgen gewiss eine Leiche.
Die frühere Herrin dieses Schlössleins soll eine alte Wittwe aus dem Luzerner-Adelsgeschlechte deren von Sonnenberg gewesen sein. Sie hatte Niemand als ihren Sohn Moritz. Sie machte für die Kapelle ihres Schlosses mancherlei Vergabungen an Feldfrüchten und Eiern, liess das Kirchendach statt der Schindeln mit Ziegeln eindecken und setzte bei ihrem Tode den Grundzins von ein paar Juchart Land nebst zehn Stück Hafer (ein Mannwerk) aus, um daraus die Löhnung des Sigrist bestreiten zu lassen.
Einige Jahre lang nach der Mutter Tod gab der Sohn Moritz den gestifteten Hafer gebürend ab und verspürte ebenso lange in seiner Güterwirthschaft niemals Mangel. Nach und nach jedoch reute ihn diese unnütze Abgabe, er liess sie eingehen und hielt sich aus dem Ertrag des Kirchenhafers ein Schwein mehr. Aber die Strafe blieb nicht aus. Das Schwein war eines Morgens sammt seinen Ferkeln verschwunden, bald fiel im Stalle auch das übrige Vieh. Das Vermögen des Junkers schwand so sehr, dass er nach und nach bis zum armen Tauner herabsank, der sein einziges Tagwerk Ackerland mit fremden Ochsen pflügen muss. Als sein Hausdach anfieng baufällig zu werden, nahm er bei Nachtzeit die Ziegel vom Kapellendache herab und deckte dies dafür mit Stroh. Zuletzt fand man ihn in seinem Stalle an einem Stricke erhenkt.
Nun sagt man, der Junker sei in jenes Schwein verwünscht, das alle Samstagsabende auf der Schlossbreite mit den Ferkeln weidet, aus Barmherzigkeit aber werde ihm vergönnt, hin und wieder in einer menschlichen Gestalt erscheinen zu dürfen. Man meint, er sei zugleich ein Dachdecker, weil man öfters um Mitternacht einen Mann auf dem Ziegeldache der Kapelle klappern hört. Auch auf jenem Holzlande, welches die Wanne heißt, ein hübscher Föhrenbestand, der jetzt der Gemeinde Baldingen angehört, erscheint er häufig als Jäger mit seinen Hunden; denn statt diesen Forst, nach der Mutter letztem Willen, zur Unterhaltung des Kirchengebälkes zu verwenden, hatte er ihn dem Junker von Baldingen um einen Antheil an der Hochjagd auf dem Baldinger Berge vertauscht. Am öftesten kommt er aber noch als die Moor. Da läuft das Schwein, ohne sich stören zu lassen, um Betzeitläuten seinen Weg hin und her. Seit etwa fünfzig Jahren schon ist ein Haus in diesen seinen gewohnten Pfad gebaut worden, nun läuft es durch dasselbe mitten hindurch.
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 97
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.