Auf dem Fusswege von Wegenstetten nach Wittnau, zweien Frickthalerdörfern, stand oben am Berge sonst eine vereinzelte alte Föhre, an deren Stamm ein kleines Muttergottesbild unter einem Dächlein hieng. Ein Kind, das öfters dieses Weges geschickt wurde, gieng nie an dem Baume vorüber ohne niederzuknieen und sein Gebet herzusagen, wie man es ihm daheim eingeprägt hatte, und immer fand es alsdann einige kleine Silbermünzen am Stamme liegen. Je mit den Altersjahren des Kindes stieg auch der Werth der Münzen, die es da im Grase fand, nach und nach wurden es statt Kreuzer Groschen und Sechskreuzerstücke. Einmal, da es sich dem Baume wieder näherte, traf es eine fremdartige alte Frau dorten. Sie trug eine weisse Haube übers Haar, einen rothen Heidenschopen, der weit über die Hüfte herabreicht, wie ihn ehemals ältere Frauen im Schwarzwalde noch trugen, auch ihr Rock und ihre Strümpfe waren gleichmässig roth. In der Hand hielt sie ein Reise- oder Marktsäckchen an den Schnüren, viereckig geschnitten und an den untern Zipfeln mit wollenen kleinen Troddeln besetzt. Auch dieses Säckchen war roth. Sie bot es dem Kinde schweigend hin. Das Kleine merkte am Gewichte, dass es mit Geld gefüllt sein müsse, nahm's also und machte sich damit schnell davon. Als es schon eine Strecke weit entfernt war, hielt es wieder an und blickte nach dem Baum zurück. Dort stand noch immer jene Frau. Nun kam sie ihm aber gar seltsam und so ausgealtert vor, dass es plötzlich erschrak, das Säckchen von sich warf und entlief. Von da an hat man die Frau nicht wieder gesehen, das Kind hat aber auch keine Münzen mehr gefunden, und die Föhre ward endlich umgehauen.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch