Der Berg, an dessen Abhang das Dorf Reitnau liegt (Bezirk Zofingen), bildet drei aufeinander folgende Staffeln, deren jede durch ein kleines Hochtälchen von der andern getrennt ist. Die oberste von ihnen heisst das Hochthal und war der Standpunkt der Burg Reitnau, von der man noch eitrige Trümmer auf einem Vorsprunge sieht. Wenn der Bauer an Sonntagen mähen und Korn schneiden kann, pflegte der Burgherr zu sagen, so wärs doch ein Wunder, warum ich an Feiertagen nicht auch jagen dürfte, und was könnte denn ein Ritter besseres wünschen, als immer und ewig zu jagen? Dieser Wunsch ist ihm erfüllt worden; noch hört man den Ritter sein Halloh rufen, sein Horn blasen und mit einer ganzen Wolke von Rossen und Hunden durch die Lüfte sausen. Vom Schlosse abwärts zur zweiten Bergstaffel führt eine nun gänzlich verfallene Treppe auf einen voll Bäumen umgebenen Wiesenplatz, welcher Kegelweg heisst. So oft die Witterung umschlagen will, hört man des Nachts hier den Zwingherrn kegeln. Ein paar rüstige junge Brittnauer, die an derlei abergläubischen Dorfgeschichten Ärgernis nahmen und nichts davon hielten, waren eines Abends bei regnerischem Himmel hier heraufgestiegen, um sich mit eignen Augen von der Grundlosigkeit dieser angeblichen Vorgänge zu überzeugen. Plötzlich hörten sie die Kugeln rollen und die Kegel fallen. Da sie keinen Menschen am ganzen Berge finden konnten, stürzten sie voll Schrecken davon, der eine dahin, der andre dorthin. Als sie heim kamen, hatte Zeder zum Denkzeichen einen geschwollenen Kopf davon getragen.
Gleich unterhalb des Schlosses ist im Berghang ein Loch gewesen, das nun zugedeckt ist, an dessen Stelle aber manchmal noch ein grünes Männchen sitzt. Es hat einst einer Frau eine Hand voll Goldstücke unter der Bedingung geschenkt, dass sie nichts davon erzähle. Als die Plauderhafte gleichwohl nicht schwieg und ihren Reichtum herzeigen wollte, zog sie nichts als eine Hand voll Kieselsteinchen aus der Tasche. Schatzgräber haben sich an dieser Stelle schon oft vergebens abgeplagt; und die Knaben, die seit langen Zeiten hier oben ihre Fastnachtfeuer anzuzünden pflegen, sind noch jüngst hin einmal auseinander gestoben, als eine lange hagere Gestalt durch die Nacht her zum Reisighaufen gegangen kam, den sie eben ansteckten. Auch sie mussten am Morgen darauf mit einem aufgedunsenen Kopfe erwachen.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Naturmythen, Neue Schweizer Sagen,Band 3.1, Leipzig 1962
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch