Dornstrauch zu Oberkulm

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf dem Oberfelde zwischen Kulm und Zetzwil war einst die Stadt Hegenau gelegen, die durch Erdbeben unterging. Wo heute der Mauerhübel liegt, umgeben vom Mûrthale, da versank zuletzt das Schloss. Es ist dasjenige, welches noch nachher den Namen Hegnau getragen und dem im Kulmertale zahlreichen Geschlechte der Hegnauer den Namen gegeben haben soll. 

Alljährlich pflügt man noch Ziegelstücke und Mauerreste auf, die den Glauben der Leute an die ehemalige Stadt neu verbürgen. Dort aber, wo die Landstrasse von Aarau nach Luzern vorbeiführt, war seit undenklicher Zeit ein Dornstrauch aufgewachsen, dessen Stamm allein drei Fuss dick gewesen sein soll. Jeder, der des Weges kam, sah ihn als ein Wunder an, legte einen Stein dazu, und so türmte sich nach und nach ein kleiner Wall rings um den Dorn; er gedieh in diesem Schutze, gewann sein eigenes Plätzchen Land, und somit blieb dieses unbepflanzt. Die Leute, die in der Nähe ihre Äcker hatten, erzählten sich wohl, welche Schätze unter dem Busche verborgen lägen, und dass sich eine Frauengestalt im heissen Mittage dorten sehen lasse, unter deren Tritten es wie Gold glänze; aber jeder nach diesen Schätzen Lüsterne fürchtete zugleich, dem bösen Geiste zu verfallen, und eben deswegen, sagten sie, dürfe man auch den Dornbusch nicht umhauen.

An einem Samstage nachts waren die jungen Bursche des Ortes ins Wirtshaus zum Rössli gekommen, wo bereits einige ältere Männer beim Weine sassen. Als die Rede zwischen beiden Parteien auch auf den Dorn kam, waren es natürlich die Alten, die für seine Unvertilgbarkeit fest einstanden. Gegen diesen Aberglauben ereiferten sich die Burschen, sie liessen es eine Wette gelten und gingen mit Säge und Beil davon. Nicht lange, so brachten sie den alten Dornstrauch zerhauen zur Türe herein geschleppt. Da erschraken die Leute sehr. Der Baum reuete sie, der doch beinah in allen Chroniken eingeschrieben stand, der so lange eine wichtige Sache im Tale gewesen war, nach dessen Ausschlagen und Blühen man Jahrgänge und Begebenheiten gerechnet hatte. Und jene würden vor Gericht gewiss hart gestraft worden sein, wenn man alles recht an den Tag hätte ziehen wollen. Aber nun war's geschehen. Trotzdem will man auch nachher noch die Erscheinung einer weissen Jungfrau an jenem Mauerhübel gesehen haben.

 

Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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