Vom Aargauer Dorfe Mühlau geht eine Fähre über die Reuss ins Zugergebiet. Hier schiffte sich einst auch ein armes Mädchen mit ein, das von ihrem Geliebten treulos verlassen war; als man die Mitte des Stromes erreichte, sprang sie lebensüberdrüssig ins Wasser und konnte nicht mehr gerettet werden. Von dieser Zeit an wurde die Fähre beständig durch einen Wassergeist gestört; so oft man in die Mitte des Stromes kam, wurde das Wasser wild und tobend, und sobald man dann nicht schleunig den Rückweg nahm, lief man Gefahr umgeworfen zu werden. Also mied man nun diese Ueberfahrt gänzlich, dafür aber gieng weit und breit das Gerede, wie viele und grosse Verbrechen jenes arme Mädchen einst begangen haben müsse, dass man nicht einmal des Stromes mehr Meister sei, seitdem sie in ihm ihren Tod gefunden hatte.
Inzwischen erschienen einmal zwei Kapuziner, die in der Gegend von Sins terminiert hatten und nun auf das Zugergebiet übergesetzt sein wollten. Der Fährmann aber verweigerte es ihnen und gab alle Umstände gründlich an. Es lag den Mönchen sehr daran, heute auf dem Heimwege nicht aufgehalten zu sein, sondern in der ihnen vorgeschriebenen Frist in ihrem Kloster richtig einzutreffen, daher sagten sie dem Fährmann bei der Allmacht Gottes völlige Sicherung seines Lebens zu und drangen in ihn, das Ruder zur Hand zu nehmen. Dieser folgte und brachte sie bis in die Mitte des Stromes an jene gefährliche Stelle, wo das Wasser zu sieden und zu toben begann. Allein anstatt ihn nun umkehren zu lassen, befahlen sie ihm still zu halten und beschwuren den Geist, in ihrem Schiffe zu erscheinen. Jn Gestalt eines langhaarigen schwarzen Hündchens kam dieser sofort aus der Reuss zu ihnen hereingesprungen, und erklärte auf die Frage, wer er sei und kraft welchen Rechtes er hier die Schiffahrt störe, er sei nicht etwa der Geist jener verunglückten Jungfrau, sondern der Teufel selbst. Ihm liege aber daran, die Leute glauben zu lassen, jenes Mädchen verursache den gefährlichen Wasseraufruhr; denn je länger ein solcher Glaube andauere, um so grössere Unthaten würden schlechtdenkende Menschen dem Mädchen aufbürden, um so mitleidloser ihr an die Ehre greifen und ihr Andenken schänden. Also bekäme er die schadenfrohen Lügner und Verleumder ganz sicher in seine Gewalt und mehre auf erlaubtem Wege damit sein Reich.
Allein die Patres wollten von diesem Rechte des Teufels nichts wissen, sie geboten ihm vielmehr, ins künftige das Schiff ungekränkt passieren zu lassen. Er musste ihnen wohl folgen, denn die Fähre besteht noch; so urtheilt ein Theil der Gläubigen. Ein anderer Theil aber sagt, der Teufel habe sich mit dieser Erklärung nur über diejenigen Prediger lustig machen wollen, die alle Aeusserungen der Menschen für nichts als Eingebungen des schlauen Teufels ausgeben.
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 57
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.