Noch jetzt heißt ein Gut von Schnaus oben am «Mulin sura» (Obermühle). Die Mühle steht nicht mehr aber die steinernen Mühlräder sieht man noch im Kellerboden. Dort in der obern Mühle wohnte ein Müller namens Seeli. Er war auch Jäger und ging oft auf die Fuchsjagd droben in seiner Gadenstatt Lumbernas, die von der Mühle aus sehen kann. Und einmal paßte er dort wieder auf den Fuchs, setzte sich in den Stall, die Flinte neben sich. Es warspät am Abend. Da kam ein Fuchs und machte sich an den Köder. Der Jäger nimmt die Flinte und legt den Finger an den Abzug. Da wendet sich der Fuchs gegen ihn, gibt mit erhobener Pfote ein Zeichen und ruft: «Hans, Hans, paß auf, was du machst! Weißt du nicht, daß ich dir geholfen habe, den Weizen deiner Tante Margrete zu mahlen?» (Cion, Cion, mim, tgei ehe ti Jas! Sas buc ehe jeu hai gidau tei a moler la salin de ti' onda Cetta?) Und ihm, dem Jäger Seeli, ist es in diesem Augenblick vorgekommen, das sei ein kurioser Fuchs, eine andre Art Fuchs, ein Mensch, und er hat nicht geschossen. Er hatte Angst. Er war ein gewitzter Jäger.
Und dann ist er gegangen mit seiner Flinte, und auf dem Heimweg war ihm der Fuchs beständig zwischen den Beinen. Schritt er rechts aus, so lief der Fuchs, nach rechts gewendet, ihm zwischen den Beinen durch. Schritt er mit dem linken Bein voran, so war der Fuchs, nach links gewendet, hinter seinem linken Fuß, so daß er mit den Beinen des Jägers jedesmal ein Kreuz bildete. Das war etwas, was Seeli nicht begreifen konnte.
Jetzt kommt er nach Hause und sieht, daß die Mühle läuft, und dabei macht sie einen Heidenlärm. Er rief seiner Frau, warum die Mühle laufe mitten in der Nacht: «Was Kuckucks machst du denn, daß du alles Wasser aufs Rad laufen und die Mühle zum Teufel gehen läßt? Bei dem Lärm kann man doch nicht schlafen!» Die Frau gab ihm zur Antwort: sie habe abgestellt, den Wasserkännel vom Rad weggerückt. Er ging, um nachzusehen. Die Mühle lief leer, ohne zu mahlen, aber mit großem Lärm.
Sowie der Jäger aber in die Mühle gekommen war, im gleichen Augenblick, war der Fuchs nicht mehr da, ihm nicht mehr zwischen den Beinen. Dafür sah er ihn zwischen den Riemen des Mahlgangs laufen (denter las tschentas dil gang). Das war ein Geist!
Von da an fühlte sich der Müller Seeli nicht mehr recht wohl. Er bekam, wenige Tage nachher, so Beulen an den Beinen, inwendig an den Knien. Er mußte zum Doktor und dann nach Chur ins Spital. Der Doktor wußte nicht recht, was es war. Aber daran hat er sterben müssen. Sie brachten ihn in einem Sarg (vischi) nach Hause zurück, und sie haben ihn begraben auf dem Friedhof von Schnaus.
Aus: A. Büchli, Mythologische Landeskunde von Graubünden, Ein Bergvolk erzählt, Die Täler am Vorderrhein Imboden, Band 2, mit einem Nachwort von U. Brunold-Bigler, Disentis 1992
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.