Jeden Abend bin ich in den Stall gegangen mit der Laterne, um zu sehen, ob alle Tiere angebunden seien. Aber am Weihnachtsabend bin ich nicht gegangen. Ich habe Angst gehabt, weil man gesagt hat, daß die Tiere reden, sich etwas erzählen, wenn die heilige Weihnachtsmesse gelesen wird.
Auf Caspausa war ein Bauer, der ließ dem Vieh keine Ruhe und kargte mit dem Futter. Der wollte nicht glauben, daß die Tiere am Weihnachtsabend während der Messe reden, und zuletzt hat er’s doch ausprobiert, um zu sehen, ob das wahr sei oder nicht. Er ist im Stall gewesen und hat gehorcht oben auf dem Heuboden, der eine Öffnung hatte, und da hat er wirklich die Tiere reden hören. Alle waren unzufrieden mit dem Meister, und alle beklagten sich, das eine über die Schläge, das andre über das Fressen. Ein Rind beklagte sich, daß es in den Wald hinaus gehen müsse, um Holz zu ziehen. Er lade zu viel auf den Schlitten und schlage es, wenn es ein wenig ausruhen wolle, und nachher bekomme es nicht einmal gutes Heu und nur wenig. Aber das werde bald ein Ende haben, diese Tyrannei. Es versetze ihm einmal einen Stoß mit dem Horn, daß er auf dem Platz bleibe. Und da hat er gedacht: «Aha, jetzt bist du gut zu den Tieren!» Und nachher ist er besser gewesen und hat gut Ordnung gehabt (im Stall) und die Tiere nie mehr geschlagen und ihnen recht genug zu fressen gegeben. Und so hat er sein Leben vor einem Unglück bewahrt.
Erzählt von Maria Stöckli-Peder in Tschamut. In: A. Büchli, Mythologische Landeskunde von Graubünden. Ein Bergvolk erzählt. Die Täler am Vorderrhein Imboden, Band 2, Nachwort von U. Brunold-Bigler, 4. Auflage, Disentis 1992
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.