Im Entlebuch werden jedes Jahr im Sommer die Kühe auf die saftigen
Weiden in den Bergen gebracht. Ein Alphirt bleibt oben bei den Kühen, bis sie im Herbst wieder ins Tal gebracht werden.
Jetzt gab es aber eine Alp auf der kein Hirte bleiben wollte, denn es hiess, dort wohne ein Geist. Solche Angst hatten die Menschen vor ihm, dass sich niemand mehr auf die Alp traute. Endlich aber kam ein junger Alphirt und wollte es trotzdem versuchen: "Wenn du es schaffst", sagte der Mann, dem die Alp gehörte, "schenke ich dir die ganze Alp".
Das liess sich der Hirt nicht zweimal sagen. Mutig zog er mit den Kühen hoch auf die Alp. Doch kaum war er oben, kam ihm schon der Geist entgegen. Er war ganz schwarz und sprach kein Wort. Erschrocken blieb der Alphirt stehen, doch der Geist öffnete ihm höflich das Tor, damit die Kühe in den Stall konnten. Von nun an begleitete der Geist den Mann überall hin. In den Stall, in die Scheune, ins Haus, ja er setzte sich sogar an den Tisch, wenn der Hirt essen wollte. Der gruselte sich vor dem schwarzen Geist, aber mit der Zeit verlor er seine Angst und gewöhnte sich sogar ein wenig an ihn.
Der Sommer war schon fast vorüber, da geschah etwas Seltsames mit dem Geist: Er wurde immer heller. Erst nur der Kopf, dann die Schultern, dann die Beine, er begann richtig hell zu leuchten, nur die Füsse waren noch schwarz. Dann kam der letzte Tag, bevor der Hirt die Kühe wieder ins Tal bringen wollte. Er räumte die Stube auf, schaute im Stall nach dem Rechten und ass ein letztes Mal mit dem Geist sein Essen. Da wurde der Geist auf einmal ganz weiss, sogar seine Füsse, und ganz plötzlich war er fort und nur ein kleines bisschen Asche lag auf dem Boden. Der Hirt wunderte sich sehr. Er nahm die Asche und trug sie nach Draussen.
Da hörte er eine Stimme, die sagte: "Hab Dank, du hast mich erlöst. Nun wirst du immer Glück haben." Dann flog aus der Asche eine weisse Taube empor und verschwand am Himmel. Am nächsten Tag verliess der Hirt die Alp und brachte die Kühe ins Tal. Er bekam nun die ganze Alp geschenkt und glücklich ist er noch viele Jahre mit seinen Kühen im Sommer dorthin gezogen. Den Geist aber hat er nie mehr gesehen.
Fassung D. Jaenike, nach: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Luzern 1862
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.