Eine Legende In Escholzmatt lebte einst ein reiches Ehepaar, das sein einziges Kind über alles liebte.
Einst wanderte ein armer Geschirrträger durch die Gegend, zu dem sich ein Pilger gesellte. Dieser, ein frommer, viel gereister Mann, wie es schien, wusste viel Schönes und Merkwürdiges zu erzählen, so dass es der Geschirrträger nicht beachtete, dass sie ihre Schritte auf einen Seitenweg gelenkt hatten. Unter dem fesselnden Gespräch langten sie unvermerkt bei dem Bauernhofe der reichen Leute mit dem vielgeliebten Kinde an. Da die Dämmerung hereinbrach, baten sie um Herberge.
Mit grosser Ehrfurcht wurde der Pilger empfangen, und seinetwegen war auch der Geschirrträger ein wohlgelittener Gast.
Die Hausfrau richtete ihnen eine vorzügliche Mahlzeit her und bereitete für die beiden ein Nachtlager in der Stube.
Als alle im tiefsten Schlafe lagen, weckte der Pilger seinen Begleiter und zeigte ihm das Kind des Hauses und sprach : «Ich will es töten.» Voller Entrüstung über so grausamen Dank für die freundliche Bewirtung wollte der Geschirrträger die Hausbewohner aus dem Schlafe schreien, damit dem argen Pilger sein verdienter Lohn werde. Allein die Stimme versagte ihm, und schon war die Tat vollbracht.
Der Unbekannte legte das tote Kind wieder auf sein Lager, ergriff den empörten Geschirrträger und trug ihn, wie durch ein Wunder, zum Haus hinaus unter den freien Himmel. Dort zeigte er ihm, wie sich eben eine weisse Taube zum Himmel empor schwang. «Das ist des Kindleins reine Seele. Sie ist für die Ewigkeit gerettet. Infolge allzu grosser Elternliebe wäre sie samt der Seele des Vaters und der Mutter verlorengegangen. Nun aber werden die Eltern in sich gehen und durch dieses zeitliche Unglück zum ewigen Heil geführt werden.» Mit diesen Worten entschwand der Pilger, der des Kindes Engel war.
Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.