Vor vielen hundert Jahren herrschten im Tal der Grünen im Emmental die Ritter des deutschen Ordens. Sie kümmerten sich wenig um das Wohl der Untertanen und bedrückten sie mit harten Fronarbeiten. Der hartherzigste unter ihnen war der Ritter Hans von Stoffeln aus dem Schwabenlande. Er zwang die Bauern, ihm auf dem Bärhegenknubel ein festes Zwingherrenschloss zu bauen. Als der trutzige Bau fertig war, befahl er ihnen, sie sollten ihm innert Monatsfrist hundert ausgewachsene Buchen vom Münnenberg zu einem Schattengang vor die Burg pflanzen.
Ob diesem unausführbaren Befehl gerieten die Bauern in Verzweiflung und sassen rat- und tatlos im Walde am Fusse des Schlossberges, als der Teufel in Gestalt eines grün gekleideten Jägersmannes zu ihnen trat. Er wusste wohl, wo sie der Schuh drückte und bot ihnen an, die Buchen zur Stelle zu schaffen, wenn sie die Bäume an der Kirche zu Sumiswald vorbeiführen wollten und ihm zum Lohn ein ungetauftes Kind versprächen. Die Männer entsetzten sich darob, hielten aber mit ihren Weibern Rat. Einer von ihnen hatte ein kühnes Weib zur Frau, das er von einem Kriegszug aus dem Schwabenland heimgebracht, und das weithin unter dem Namen «die Lindauerin» bekannt war. Christine, so hiess es, anerbot sich, den Grünen zu prellen. Darauf wurden die Bauern mit ihm handelseinig, und zum Zeichen, dass der Vertrag gültig sei, küsste der Teufel das Weib auf die linke Wange.
Innert Monatsfrist waren die Buchen gepflanzt.
Als nun im Tal ein Kind zur Welt kam, liess die Mutter rechtzeitig den Geistlichen holen, der das Haus segnete und das neugeborene Kind sogleich taufte. Die Bauern lachten sich heimlich in die Faust und hielten den Teufel für den Geprellten.
Aber weit gefehlt. Auf Christines Wange wuchs an der Stelle, wo der Grüne sie geküsst, eine eitrige Beule, die immer mehr die Gestalt einer grossen, schwarzen Spinne annahm. Sie brannte wie höllische Glut. Um sich von dieser Qual zu befreien, trachtete das Weib darnach, dem Teufel den versprochenen Lohn zu verschaffen. Aber auch das folgende Kind wurde unter demselben geistlichen Schutz geboren und getauft wie das erste. Darauf platzte unter unaussprechlichen Schmerzen die Spinne in Christinens Gesicht, und zahllose schwarze Spinnen und Spinnlein krabbelten hinaus in die finstere Nacht, krochen dem Vieh ins Futter, vergifteten es, und die Tiere verendeten unter fürchterlichem Gebrüll. Als der Zwingherr auf Bärhegen vernahm, wie die Bauern mit dem Teufel wegen der Buchen einen Vertrag abgeschlossen, fuhr er sie an, er wolle ihretwegen nicht Herde um Herde verlieren. Sie sollten unverweilt ihr Versprechen einlösen. Wenn er von der Seuche weitern Schaden erleide, müssten sie es hundertfältig büssen.
Auf Christinens Zureden hin wurden die Männer rätig, dem Grünen das nächste Kind zu opfern. Christine sollte es an den Kilchstalden tragen, wo er es in Empfang nehmen wollte.
Die Mutter des Kindleins aber schickte ihren Mann zum Geistlichen, mit der Bitte, er möchte, ohne zu säumen, das Büblein taufen. Christine aber entriss ihr in wildem Kampfe das Kind und eilte damit in der furchtbaren Gewitternacht an den Kilchstalden hinaus. Unerschrocken schritt der Priester, dem die Abmachung nicht verborgen geblieben war, trotz des Unwetters dem Kilchstalden zu. Drunten sah er den Grünen mit seiner roten Feder auf dem Hut im Grünhag seiner Beute harren und Christine ihm mit dem Kinde entgegeneilen.
Rasch, wie ein Held in die Schlacht, rennt der Priester den Stalden hinab, stürzt sich zwischen die beiden, hält dem Teufel das heilige Kreuz entgegen, besprengt das Kind mit Weihwasser und trifft damit gleichzeitig Christine. Im Nu schrumpft sie zur giftgeschwollenen Spinne über ihrem Opfer zusammen. Dem Geistlichen wirft sie'giftige Blicke zu, und der Grüne fährt mit Wehgeheul von dannen.
Glaubensmutig erfasst der fromme Mann das Ungetüm, schleudert es weit weg, eilt mit dem Kind beflügelten Schrittes der Mutter zu und tauft es in ihren Armen in den drei höchsten Namen.
Kurz darauf schied des Kindleins Seele wieder, und das Leibchen ward überall, wo die Spinne auf ihm gesessen, mit Brandflecken bedeckt. Braune Pestflecken zeichneten sich auch auf des Priesters Hand ab, und Todesschauer rieselten ihm bis ans Herz hinan. Mit dem Tode kämpfend schleppte er sich heim, legte sich, seine Seele Gott befehlend, hin und verschied.
Überall im Volke zeigte sich die schwarze Spinne. Wen ihr Biss traf, dem wühlte das Gift feurigen Stacheln gleich durch das Gebein, dem floss der Hölle Brand durch die Adern, bis der Tod ihn streckte. Kein Alter und Geschlecht blieb verschont, weder das Kind in der Wiege noch der gebückte Greis. Immer giftiger wurde die Spinne. Mit schrecklicher Angst peinigte sie die armen Menschen. Einzig das Haus der frommen Frau blieb von ihr verschont. Das Weib, das mit Hilfe des Geistlichen seine Kinder gerettet, fasste in gläubigem Gottvertrauen den Entschluss, die Spinne zu fassen und in Holz zu vernageln. Es bohrte ein Loch in den Fensterpfosten, schnitt einen Zapfen, der genau in die Öffnung passte, besprengte beides mit Weihwasser und legte den Hammer zurecht.
Tag und Nacht flehte die Frau zu Gott um Kraft zur Tat. Einmal war sie darob eingeschlummert. Da vermeinte sie im Traume die Stimme des frommen Priesters zu vernehmen: «Der Feind ist da!»
Entsetzt fuhr sie auf und sah die Spinne giftgebläht, langsam über die 'Wiege hinauf dem Gesicht ihres Bübleins zuschreiten. — Mit einem Gedanken an Gott fasste das Weib mit rascher Hand das Tier. Feuerströme entquollen ihrer Hand. Unter Todesschmerzen presste es die Spinne ins bereitgehaltene Loch, steckte den Zapfen nach und schlug ihn mit letzter Kraft fest. Drinnen sauste und brauste es wie in einem tobenden Vulkan, und das Haus erbebte in seinen Grundfesten. Aber der Zapfen blieb fest und die Spinne gefangen.
Ergeben legte sie sich hin zum Sterben, war doch ihr Kind, war das ganze Land gerettet. Damit nahm der Schwarze Tod ein Ende, und Ruhe und Frieden und neues Leben kehrten wieder ins Tal zurück. Für die Kinder der treuen Mutter, die für alle gestorben, sorgten in Dankbarkeit die neuen Ritter im Schloss.
Aber nachdem viele Geschlechter zu Grabe gegangen, wurden Hoffart und Üppigkeit wieder heimisch im Lande. Damals wirtschaftete in dem Hause, in dessen Fensterpfosten die Spinne gefangen sass, eine herrschsüchtige Witwe mit ihrem Sohne Christen, dem sie eine hoffärtige Tochter aus ihrer Verwandtschaft zur Frau gab.
Die beiden Weiber nun schämten sich des alten Hauses. Sie beschlossen ein neues zu bauen und das alte dem Gesinde zu überlassen. Mit verschwenderischer Pracht wurde eine «Hausräuchi» von drei vollen Tagen gefeiert. Während die beiden Frauen im neuen Hause ein üppiges, arbeitsloses Leben führten, war drunten im alten weder Ordnung noch Gottesfurcht.
In einer heiligen Weihnacht öffnete nach wüstem Gelage ein Knecht unter vermessenen Reden mit einem Bohrer das Loch, um die Mägde zu erschrecken. Da erbebte von einem furchtbaren Donnerschlag das ganze Haus. Ein roter Glutstrom brach aus der Öffnung, und mitten drin sass die giftige Spinne und glotzte mit gieriger Lust die Frevler an. Vom Schrecken gelähmt, konnten sie sich des Untiers nicht erwehren, das über ihre Gesichter kroch und ihnen den schrecklichen Tod einimpfte.
Als Christen von der Messe heimkehrte, fand er die Bewohner beider Häuser mit dem Tode kämpfen. Nur an seinen Kindern war er vorübergegangen.
Gieriger und rascher als das erstemal lief die Spinne todbringend durch die Talschaft. Überall verbreitete sie Schrecken und furchtbare Qualen. Mit Vorliebe wählte sie sich bei Leichenzügen ihre zahlreichen Opfer. Schwer lag das Unglück auf Christens Gewissen, dem die verzweifelten Bewohner alle Schuld zuschrieben.
Da reifte in ihm der Entschluss, wie seine Ahne, sich selbst zu opfern und das Land von der schrecklichen Krankheit zu befreien. Er zog mit seinen Kindern wieder hinab in das alte Haus, schnitt einen neuen Zapfen zum Loch, liess ihn weihen, legte ihn mit dem Hammer zurecht und harrte an den Betten seiner Kinder der Spinne. Sie kam aber nicht. — Wie er einst ein Kind nach der Kirche zur Taufe tragen wollte, versperrte sie ihm am Kilchstalden den Weg. Rasch übergab er das Kindlein einem Knaben mit dem Befehl, es eiligst in die Kirche zu tragen. Seine Seele empfahl er Gott, ergriff mit starker Hand die Spinne und flog, trotz der furchtbaren Schmerzen, die seinen Leib durch-wühlten, seinem Hause zu. Mit brechenden Kräften gelang es ihm, das Tier ins Loch zu drücken und den Zapfen einzuschlagen.
Dankbar folgten die Bewohner der Talschaft dem Sarge ihres Erretters.
Noch sieht man im Bären zu Sumiswald den runden Tisch, an dem die gesamte erwachsene Mannschaft des Tales, zwei Dutzend an der Zahl, an der «Gräbt» Platz gefunden haben soll.
Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.