Der Untergang der Schweizergarde in Paris

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Nicht nur in der Schweiz, auch in allen andern Ländern Europas gab es am Ende des 18. Jahrhunderts gestrenge Herren und unterdrücktes Volk. Wohl am schlimmsten war es in Frankreich. Dort herrschte der König mit voller Willkür, ohne sich um das Wohl und Wehe seiner Untertanen zu kümmern. Ihn umgab ein hochmütiger Adel, der ein schwelgerisches Leben führte und dem Staat von seinem Reichtum keinerlei Steuern bezahlte, obwohl das Land immer tiefer in Schulden geriet. Das Volk dagegen war von Abgaben aller Art schwer bedrückt und hatte ein armseliges Dasein, besonders die Bauernschaft.

Deshalb kam es im Jahre 1789 zu einem gewaltigen Aufstand. Unter der Führung leidenschaftlicher Vorkämpfer erhob sich das Pariser Volk und verlangte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Und da auch jetzt die adeligen Herren nicht auf ihre Vorrechte verzichten wollten und den König davon abhielten, dem Lande eine neue Ordnung zu geben und den Frieden mit dem Volke wieder herzustellen, breitete sich der Aufstand über das ganze Land aus, und es wurde daraus eine mächtige Volksbewegung, die mehrere Jahre dauerte. Man nennt sie die große Revolution.

Das Volk verlor alle Scheu und Ehrfurcht vor seinen bisherigen Herren, selbst vor der Königsfamilie. Ludwig XVI. und seine Gemahlin, die aus Österreich stammende stolze Marie Antoinette, hatten furchtbare Tage durchzumachen. Besonders verhängnisvoll wurde ihnen der 10. August 1792. Es hieß, der König unterhandle insgeheim durch geflohene französische Adelige mit den Herrschern von Österreich und Preußen und suche bei ihnen Hilfe gegen die Erhebung seines Volkes. Das erregte in Paris eine maßlose Erbitterung. In bewaffneten Haufen, darunter viel ruchloser Straßenpöbel, wälzte sich das Volk gegen den Königspalast, die Tuilerien, heran. Der König befand sich mit seiner Familie in einem anstoßenden Gebäude, wo eben die Abgeordneten der Aufständischen tagten. Da mußte er anhören, was sie mit ihm und Frankreich im Sinne hatten.

Sonst waren die Tuilerien von zahlreichen Truppen bewacht. Jetzt aber hatten fast alle französischen Regimenter den König verlassen und waren zum Volke übergegangen. Den einzigen Schutz des weitläufigen Palastes bildeten etwa 950 Söldner, die alle lange rote Waffenröcke trugen. Das war die Schweizergarde. Sie blieb dem König treu in dieser Stunde der äußersten Gefahr.

Da hörte man plötzlich in den Höfen der Tuilerien trommeln. Und als die Königin Marie Antoinette in die Nacht hinausschaute, sah sie unten bei Fackellicht ihre roten Schweizer kampfbereit den Ansturm der Pariser und ihrer Regimenter erwarten. Das war ihr ein rechter Trost; da war also doch noch jemand, der das Königshaus in der höchsten Not nicht im Stiche ließ.

Rot ist mein Banner, rot das Kleid,
Blutrot das Herz und treu dem Eid,
Den es hat zugeschworen.
Die Trommel wirbelte durchs Schloß:
Wach auf, wach auf, o Eidgenoß,
Paris steht vor den Toren.
Die Königin am Fenster stand:
Hab' ich denn keine Seel' im Land,
Die treu zu mir wollt' stehen?
Frau Königin, vielgute Nacht!
Der rote Schweizer hält die Wacht,
Kein Leid soll Euch geschehen!

Aber da brauste der Sturm des Aufruhrs in den Hof der Tuilerien herein. Man forderte die Schweizer auf, die Waffen niederzulegen und den Aufständischen den Königspalast zu übergeben. Der Kommandant der Garde antwortete, die Schweizer seien es nicht gewohnt, von ihren Posten zu weichen, ihre Waffen aber würden sie nur mit dem Leben lassen.

Jetzt ließen die Revolutionäre Geschütze auffahren und feuerten sie auf die Schweizer ab. Der Kampf begann. Nun schossen auch die Schweizer und streckten zahlreiche Angreifer nieder. Dann rückten sie in geschlossenen Reihen vor und warfen die tobenden Haufen aus dem Hofe hinaus. Ja so wuchtig war ihr Gegenstoß, daß der nachmalige berühmte Schlachtenkaiser Napoleon, der damals als junger Offizier Zeuge des Angriffs war, später schrieb, wenn die Schweizergarde eine zum äußersten entschlossene Führung gehabt hätte, so wäre sie des Aufstands Meister geworden.

Es sollte nicht sein. Die Abgeordneten in der Ratsversammlung drangen in den König, Befehl zur Einstellung des Feuers zu geben. Und der eingeschüchterte, schwache König unterzeichnete einen Zettel; darauf stand geschrieben: "Der König befiehlt den Schweizern, die Waffen niederzulegen und sich in ihre Kasernen zurückzuziehen." Und unverzüglich gehorchten sie dem Gebote ihres Herrn, dem sie den Eid der Treue abgelegt hatten.

Das war ihr Untergang. Denn nun stürmte das tobende Volk von neuem auf sie ein; es wollte Rache nehmen für die Gefallenen.

Auf einen Schweizer kamen hundert Revolutionäre. 30 bis 40 Geschütze richteten ihr Feuer auf das Schloß. Der Übermacht mußten sie erliegen. Wohl wehrten sie sich mit Löwenmut ihres Lebens; doch ihr Häuflein wurde immer kleiner. So kam es, daß die Schweizergarde der Mordlust des rasenden Volkes zum Opfer fiel. Nur ein ganz kleiner Teil entrann dem Blutbad, und wenige fanden als Gefangene Schonung.

Man kann sich denken, wie es diese Überlebenden schmerzte, daß der König die Schweizergarde von der Verteidigung seines Hauses abgehalten hatte. Nun waren die meisten dennoch gefallen, und den König und die Königin Marie Antoinette hatten sie nicht schützen können.

Bald hernach wurde der König vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und vermittels der Guillotine hingerichtet. Und ehe ein Jahr um war, starb auch die Königin auf dem Blutgerüst. Man konnte beiden kein todeswürdiges Verbrechen nachweisen; sie mußten büßen für die Willkürherrschaft, unter der das Volk so lange gelitten, für die Mißwirtschaft, die eingerissen hatte, und für den Eigennutz und Unverstand des französischen Adels.

Rot ist mein Banner, rot mein Kleid
Und rot die Wang vor Scham und Leid,
Daß ich sie nit kunnt' retten.

In der Stadt Luzern steht, in einen Felsen gehauen, ein Denkmal, das an den Untergang der Schweizergarde in Paris erinnert. Es stellt einen sterbenden Löwen dar. Und es mahnt die Schweizer allezeit, den Eid, den sie den Fahnen geschworen, treu zu halten bis in den Tod, doch nie mehr im Solde eines fremden Fürsten, sondern jetzt und in aller Zukunft im Dienste des Vaterlandes.

Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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