Einst saß ein alter Fährmann zu Hauenstein in seinem Fischerkahn, und da es immer dunkler ward, schlief er ein. Auf einmal schrak er auf, denn vom schweizerischen Rheinufer her rief's: "Hol über, hol über!" Flink löste er das Schiffchen und ruderte nach dem andern Ufer hinüber. Aber wie er sich auch umschaute, kein Mensch war zu sehen. Er glaubte falsch gehört zu haben und fuhr wieder ans andere Bord zurück. Kaum legte er dort an, rief's wieder, und nun hörte er's ganz deutlich: "Hol über, hol über!" Behenden Armes trieb er seinen Kahn wieder durch die munter ziehenden Rheinwellen. Doch da war wiederum niemand. Nun dachte er, böse Nachtbuben hätten ihn gefoppt. Brummend fuhr er wieder zurück, und eben wollte er das Schiffchen verlassen, um heimzugehen, da schallte es gebieterisch über den Rhein: "Hol über, hol über!" Obwohl ihn die zweimalige Enttäuschung arg verdrossen hatte, machte sich der brave Fährmann doch nochmals über den Strom. Als er aber am Schweizer Ufer ankam, rief er laut: "Also denn, wenn etwas von Gott da ist, so soll's jetzt kommen, denn ist's auch diesmal umsonst, daß ich da bin, so komme ich diese Nacht nicht wieder!"
Kaum hatte er's gerufen, so rollte ein derber Stock ins Schiffchen und blieb ruhig drin liegen. Verwundert stieß der Fährmann ab, und nach und nach wurde ihm unheimlich zumute, denn der Stock kam ihm nicht geheuer vor. Wie der Alte aber am deutschen Ufer landete, erhob sich der Stock wie von selber, und eine Stimme sagte: "Dreimal sah ich diese Gegend verwildern, und hättest du nicht dreimal dein Schifflein über den Rhein gerudert, so hätte ich wieder bei einer Eiche harren müssen, bis eine Eichel davon abgefallen wäre, aus der der Baum herausgewachsen wäre, aus dessen Holz man eine Wiege hätte zimmern können, in der man das Kind hätte schaukeln müssen, das einst mein Erlöser hätte werden dürfen. Jetzt aber gib mir die Hand, denn auch du wirst bald, wie ich, ein Kind der Seligkeit!" Vorsichtig streckte der alte Fährmann dem unsichtbaren Fahrgast das Steuerende entgegen, in das sich sogleich fünf Finger tief einbrannten. Dann ward es stille. Gleichwohl starb der Fährmann bald hernach.
Eine andere Geschichte erlebten zwei Schiffer an der Aare bei Klingnau. Einst saßen die beiden Fährmänner zu Machenau in ihrer Hütte ruhig beisammen an der Aare, die mit leisem Rauschen und Quirlen dahinfloß. Es war Heiliger Abend, und sie gedachten zusammen den Abend in trautsamem Geplauder zu verbringen. Es mochte gegen acht Uhr gehen, da pochte es laut an die Hüttentüre. Rasch öffneten sie, in der Meinung, ein verspäteter Wanderer wolle über den Fluß ins Kirchspieler Feld übergesetzt werden. Wie fuhren sie aber zusammen, da sie einen feurigen Mann vor sich sahen, der von ihnen gebieterisch verlangte, daß sie ihn über die Aare brächten.
Erst schauten sie sich zitternd an, sich bekreuzend, dann aber, als das feurige Gespenst immer ungestümer tat, gingen sie mit in die Nacht hinaus, lösten den Weidling, ließen den Zündler einsteigen und stießen ab. Doch sie brauchten fast gar nicht zu rudern. Der Weidling schoß wie der Wind über den Fluß, und kaum waren sie abgefahren, so stieß das Schiff schon am andern Ufer an, und der feurige Fahrgast stand auf dem Bord und rief ihnen zu: "Wir alle drei sind verloren, wenn ihr nicht Schlag acht Uhr wieder hier seid, um mich wieder hinüberzuholen." Dann verschwand er im Hardwalde.
Den Schiffern war es unheimlich bei der Sache, und sie rieten hin und her. Aber Schlag acht Uhr waren sie doch wieder an der Stelle, wo das Gespenst ausgestiegen war, und harrten seiner. Und ehe sie's dachten, stand der feurige Mann schon wieder im Weidling und gebot: "Fahrt zu!"
Wie sie nun auf der Machenauer Seite glücklich anlangten, dankte er ihnen und bot ihnen die Hand zum Abschied. Ein Schiffer wagte es nicht, ihm die Hand zu drücken, der andere aber reichte ihm den doppelgriffigen Stiel seiner Schalte hin. Der feurige Mann faßte sie einen Augenblick an, und da war sie auch schon bis zuunterst weißglühend. Rasch löschte sie der erschrockene Fährmann im Fluß. Der brennende Mann aber stieg aus und flackerte schon dem öden Giritzer Ried zu.
Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.