Als Kaiser Maximilian mit seinem stolzen Heere zu Konstanz am schönen Schwäbischen Meere lag, erließen die Eidgenossen ein Schreiben an ihn, worin sie unter anderem sagten: "Gezwungen haben wir zu den Waffen gegriffen und wollen sie gerne niederlegen, sobald Eure Majestät lieber Ihrer angeborenen Güte und Sanftmut als unseren Verleumdern Gehör gibt. Wird uns aber kein Recht gehalten, so waschen wir vor Gott und den Menschen unsere Hände rein vom vergossenen Blute des Krieges, vertrauen auf Gottes Hilfe und ziehen einen ehrenvollen Tod einem schimpflichen Frieden oder schmählicher Knechtschaft vor."
Diesen Brief brachte ein Mägdlein aus dem obstreichen Thurgau dem Kaiser nach Konstanz in die Stadt, denn so sehr haßte man sich, daß man sich gegenseitig keine Männer mehr als Boten zu schicken getraute. Im Hofe wartete das Mägdlein auf Antwort und sah mit verwunderten Augen auf das bunte Treiben des kaiserlichen Lagers.
Da fragte es auf einmal ein Kriegsmann von der Leibwache des Kaisers barsch: "Was machen die Eidgenossen im Lager?" Das Mägdlein antwortete: "Seht ihr denn nicht, daß sie auf euren Angriff warten?" Und wie jener weiter fragte, wie viele Leute sie hätten, gab es kurz zurück: "Genug, um eure Angriffe abzutreiben." Nun wurden die Kriegsleute von der Leibwache ernstlich aufgebracht und forderten ungestüm von dem Mägdlein die Zahl der Eidgenossen zu erfahren. Doch ruhig sagte es: "Wenn's mir recht ist, so hättet ihr sie letzthin im Treffen vor dieser Stadt zählen können, hätte euch die Flucht nicht blind gemacht." - "Haben sie denn zu essen?" fragte nun einer. - "Ei", antwortete das Mägdlein, "wie sollten sie denn leben, wenn sie nicht zu essen und zu trinken hätten?"
Jetzt fingen die Umstehenden zu lachen an. Einer aber war, der wollte das kecke Jüngferlein erschrecken. Er drohte ihm und sagte, das Schwert ziehend: "So, du Fratz, jetzt will ich dir den Kopf abschlagen!"
Doch das Thurgauer Kind erschrak nicht. Es blickte ihn herzhaft an und sagte: "Wahrhaftig, du bist ein rechter Held, daß du ein Mägdlein umbringen willst. Wenn du so großes Verlangen hast zu kämpfen, warum stürmst du denn nicht ins feindliche Lager? Dort wirst du gewiß einen finden, der deinem Trotz zu stehen vermag. Aber es ist leichter, ein wehrlos unschuldig Mägdlein anzufahren, als dem bewaffneten Feinde zu begegnen, der nicht mit Worten, wohl aber mit dem Schwerte seine Sache zu führen versteht."
Das aufrechte Thurgauer Mägdlein kam denn auch mit der Antwort des Kaisers wieder unbehelligt ins Lager der Eidgenossen zurück. Der Feldherr Pirkheimer, der dieses Gespräch aufgeschrieben hat, hörte es im kaiserlichen Hoflager zu Konstanz selber an, und er bewunderte den Verstand und den Freimut des Mägdleins.
Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.