Während der Kämpfe mit dem Schwäbischen Bunde wollten die Schweizer einmal in dunkler Nacht über den Rhein gehen, dort, wo er oberhalb Bregenz zur Winterszeit oft gefroren oder doch untief ist. In geordneten Reihen sprangen sie schweigend in den eiskalten Rhein, denn im schwachen Mondlicht glitzerten überall um den Fluß die Schneefelder. Schon hatten die Vordersten das jenseitige Ufer fast erreicht, als sie einige Reiter aus einem verschneiten Gehölze auftauchen sahen, die dort Wache zu halten schienen. Da blieben sie stille stehen und regten sich nicht mehr, und so machten es die Eidgenossen alle, die im kalten Bade steckten. Doch die österreichischen Reiter der Grenzwache hatten die dunklen Reihen im Wasser wohl gesehen und ritten im Galopp davon.
Jetzt hätten die Schweizer wohl an Land gehen können, doch sie fürchteten einen Hinterhalt und wollten zuerst wissen, woran sie seien und wie es um den Feind stehe. Sie hielten es für schimpflich, rückwärts zu gehen, ohne den Feind recht gesehen zu haben, aber auch für unbesonnen, vorzurücken, ohne gute Kundschaft zu haben, denn sie nahmen das Davonjagen der Grenzreiter für eine List. Die Anführer befahlen also, Halt zu machen. Nur einige der flinksten Jungburschen durften auf Kundschaft ausgehen. Bald waren sie am feindlichen Ufer und verschwanden im Gehölz.
Unterdessen blieben die Eidgenossen im grimmig kalten Wasser stehen, ein jeder auf seinem Posten, alle in wohlgeordneten Reihen, obwohl einigen die eisige Flut bis an die Schultern, ja bis ans Kinn ging. Der Rhein war voll Eis, und die Krieger mußten gewaltige Eisstücke, die durch ihre Reihen trieben, mit Speer und Hellebarde von sich abhalten. So verharrten sie volle zwei Stunden im kalten, unheimlich glucksenden Wasser, bis endlich die Kunde kam, daß ein Hinterhalt nicht zu fürchten sei.
Da machten sie sich getrosten Mutes ans Ufer, so rasch und so gut sie konnten, denn gar vielen waren bei der heftigen Kälte der Flut Füße und Hände erfroren. Ja, einige waren lieber im Wasser gestorben und zusammengesunken, als daß sie ihre Posten in den wohlgeordneten Reihen verlassen hätten. So streng hielten die alten Eidgenossen auf Manneszucht. Da ist auch wohl auszudenken, woher ihre glorreichen Siege kamen.
Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.