Johann Chaldar

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Der größte Kanton der Schweiz ist der Kanton Graubünden. Aber er ist wenig bevölkert. Denn um seine reizvollen Alpentäler, an deren Hängen die seltsame Arve wächst und in denen die lieblichsten Seen träumen, stehen gewaltige Schneegebirge.

Einst hausten in diesen Alpentalern Rätiens, in denen man noch zum Teil eine ganz eigene Sprache redet, eine ganze Reihe böser Junker und Zwingherren, die das arme, aber aufrechte Volk unterdrückten und auf jede Weise plagten. Ihre stolzen Burgen überzogen das Land. Auf einem hohen Felsen am wilden Oberrhein hinter Thusis lag die große Bärenburg, und im Dörflein Donath [Donat] thronte die Burg Fardün. Die Herren dieser Burgen trieben es gar bunt. Der Herr auf der Bärenburg zwang die Leute, aus dem Schweinetrog zu essen, und der auf Fardün ließ allemal, wenn das Korn zu reifen begann, seine Pferde darin weiden.

Aber das Maß dieses Tyrannen war voll. Eines Tages im Jahre 1424 ritt der Junker von Fardün ins Tal hinab. Auf dem Wege fiel ihm die schöne, reinlich gehaltene Hütte des Bauern Johann Chaldar in die Augen. Er haßte diesen freien Sohn der Berge besonders, weil er ihm einst zwei Pferde, die er in seine Saat hatte treiben lassen, erstach. Und obwohl er ihn damals jahrelang in seinem Burgverlies hatte hungern und frieren lassen, haßte er ihn immer noch, denn er sah wohl, daß der freie Sinn des armen Hirten noch nicht gebrochen war. Doch er wollte ihn noch zähmen. Er gedachte daher, ihn zu reizen und ihn dann, wenn er ihm ungebührlich komme, wieder in den dunklen Schloßkerker werfen zu lassen, aus dem er nie mehr lebend hervorgehen sollte. So bog er denn plötzlich vom Wege ab und ritt auf die Hütte zu.

Dort stieg er ab, trieb sein Roß lachend in die eben wieder grünende Saat und trat dann in die Hütte des Landmannes. Dieser saß gerade mit Frau und Kindern um den Tisch, auf dem ein großes Holzgefäß voll Brei dampfte. Als sie das Tischgebet gesprochen hatten, erschien der Junker von Fardün in der Stube. Der Bauer Chaldar erhob sich und lud ihn ehrerbietig ein, am Tische Platz zu nehmen und mitzuhalten, wenn ihm ihre ärmliche Speise nicht zu gering sei.

Da wurde der Junker brandrot vor Zorn und lärmte: "Wie, du hältst mich für so niedrig, daß ich Mus fressen sollte? Friß du's nur selber, ich will dir's würzen!" Und damit spuckte er ihm in den Brei. Johann Chaldar erbleichte. Bebend am ganzen Leib stand er einen Augenblick da. Dann packte er den Junker, schleppte ihn zum Tisch und drückte ihm den Kopf tief in den heißen Brei hinein. "Friß, friß", schrie er auf, "du kommst mir nicht vom Fleck, bis das Mus aufgefressen ist, das du so wohlgewürzt hast!" Und wohl oder übel, der Junker mußte den Brei, so heiß er war, aufessen, denn der Bauer ließ ihn nicht los. Als er die gezwungene Mahlzeit getan hatte, rannte er wutschnaubend nach seinem Pferd, um die Knechte in seiner Burg zu holen. Doch Johann Chaldar lief ihm nach und erschlug ihn. Dann rief er das Volk zum Aufstande auf, und bald wurde die Burg Fardün eingenommen und zerstört. Und rings im Lande erhoben sich die freien Rätier und brachen allüberall die Burgen, wo Zwingherren wohnten. Der letzte Zwingherr zu Hohen Realt aber setzte sich, als ihm das Volk die Burg stürmte, auf sein Pferd, kämpfte lange tapfer um sein Leben, und als er jeden Weg zur Flucht versperrt sah, gab er seinem Roß verzweifelt die Sporen und stürzte sich vom Burggemäuer in die Rheinschlucht hinunter.

Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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