In gar frühen Zeiten waren die alten Eidgenossen der Länder Uri, Schwyz und Unterwalden dem Papste einst über das verschneite Gotthardgebirge zu Hilfe gezogen. Als sie danach wieder in ihren Alpenhütten hausten, vermochten sie das Wunderland jenseits der Berge, in dem die Sonne am Himmel stand und wo die Winde so lau wehten, nimmer zu vergessen. Deshalb hatten sie sich danach gar oft in Wehr und Waffen über den Gotthard gemacht, und es gelang ihnen mit ihrer tapferen Faust, das Eschental und das sonnenfrohe Livinental mit den schönen Städtchen Bellenz [Bellinzona], Lauis [Lugano] und Luggarus [Locarno] zu gewinnen. Im Städtchen Bellenz besetzten sie die drei Schlösser, die sie Uri, Schwyz und Unterwalden nannten.
Als nun aber der Herzog Philipp von Mailand an die Herrschaft kam, ließ es ihm keine Ruhe, daß sein Herzogtum das schöne Land des Tessin am Gotthard mit seinen anmutreichen blauen Seen verloren haben sollte. Er rüstete ein Kriegsheer, und eines Morgens, am Karfreitag des Jahres 142.2, gelang es seinem mailändischen Feldherrn, die schwache Besatzung der Urner und Obwaldner in Bellenz zu überraschen und gefangenzunehmen und das ganze Land am Tessinfluß wieder zu besetzen. Wie nun die Eidgenossen der vier Waldstätte dies vernahmen, brachen sie mit ihren Pannern sogleich auf und zogen über den Gotthard, nachdem sie auch die andern Eidgenossen gemahnt und um Zuzug gebeten hatten.
Es kamen auch fast alle. Während diese aber erst aufbrachen, waren die Urner, Unterwaldner, Luzerner und Zuger schon ins welsche Livinental hinabgestiegen. Sie waren zu ungeduldig, zu kampflustig, den Zuzug der andern Eidgenossen abzuwarten. Sie kamen auch eher an den Feind, als sie dachten. Denn als sie gen Arbedo hinabrückten, jagte auf einmal von Bellenz her die mailändische Reiterei mit großem Ungestüm auf sie los.
Aber die Eidgenossen wichen nicht, obwohl die welsche Reiterei gewaltige Lücken in ihre Reihen riß. Die Luzerner, die den ersten Ansturm auszuhalten hatten, wehrten sich wie Rasende. Aber fast wäre ihr Panner verlorengegangen. Da warfen sie sich unter die Pferde und erstachen sie, um die Reiter zu Fall zu bringen. Ja, einige überwarfen die Pferde mit Riesenstärke, die Reiter darunter zermalmend. Einem Luzerner gelang es sogar, die vornehmste mailändische Standarte zu erkämpfen. Als aber die Eidgenossen von Uri, Unterwalden und Zug den Luzernern zu Hilfe eilten, erschien auch das mailändische Fußvolk in unabsehbaren Scharen wie ein alles überschwemmender Strom. Nun begann ein fürchterlicher Kampf, in dem nach dem Chronisten ein schreckliches Ringen besonders um die Panner der vier Alpenländer stattfand.
Am heißesten aber ging's zu um das Panner der kleinen Stadt Zug. Die Welschen, die nun in großer Überzahl waren, wollten diese Fahne um jeden Preis gewinnen. Sie suchten die standhafte Schar der Zuger einzuschließen, was ihnen auch so ziemlich gelang. Unaufhaltsam drückten sie auf die zusammenschmelzenden, mit der Kraft der Verzweiflung dreinhauenden Zuger. Immer näher rückten sie dem Pannerherrn Ammann Peter Kolin, der das hoch flatternde blau-weiße Feldzeichen der Stadt Zug trug. Und nun ging um die Fahne eine schreckliche Schlächterei los, wobei die Zuger die bluttriefenden Schwerter so lange mit den knirschenden Zähnen festhielten, bis ihnen Hellebarde und Knüttel brachen, bis sie in die Knie sanken und wo sie die Schwerter den Pferden und Menschen wuchtig in die Leiber stießen. Aber rasend über den verzweifelten Widerstand des kleinen Zuger Haufens, drangen jetzt die Welschen auf den Pannerherrn ein, und wie der auch sein langes Schwert um sich pfeifen ließ, er brach doch bald zu Tode getroffen zusammen. Segnend legte er seinen beiden Söhnen, die den Fallenden stützten, die Hände aufs Haupt und starb. Aber sein junger Sohn schlug das Panner einem riesigen Welschen, der es dem Sterbenden aus der Faust gezerrt, mitsamt der Hand weg, hob es hochauf und verteidigte es wie ein Löwe, bis auch er, von vielen Spießen zerfetzt, tot hinfiel. Aber es tauchte nochmals aus dem blutigen Knäuel auf, vom ältesten Sohn stolz emporgetragen. Und als auch er´s nicht mehr zu halten vermochte, riß er das nun blutrote, zerfetzte Pannertuch ab, um es um seine Brust zu winden, von der das Gewand in Fetzen herabhing, und es mit seinem tödlich getroffenen Herzen im Falle zu decken. Doch sein treuer Freund Landtwing nahm´s dem Sterbenden ab und rettete es, mit gewaltigen Hieben seines doppelschneidigen Schweizer Schwertes die Feinde so lange abwehrend, bis den Zugern von den andern Eidgenossen einige Hilfe ward.
Aber von der Übermacht hart bedrängt, mußten sich die Eidgenossen etwas zurückziehen, nachdem sie acht volle Stunden der mailändischen Reiterei standgehalten hatten. Vielleicht wären sie von den unaufhaltsam von allen Seiten nachdrängenden Welschen doch noch niedergeworfen worden, wäre nicht auf einmal von den nahen Bergen des Misoxertales ein gewaltiges Jauchzen gekommen, wovon alle Flühe widerhallten.
Ein Häuflein Hilfstruppen, Eidgenossen von Schwyz, Glarus und Zürich, waren im Anzug. Schon dröhnten ihre Axthiebe von dem Fluß Moesa her, wo sie rasch eine Notbrücke schlugen. Jetzt brüllte der Uristier, das große Heerhorn der Urner, mit Macht den Eidgenossen entgegen, und mit ihm riefen die Harsthörner von Unterwalden und die Rolandshörner von Luzern die Bundesgenossen zu Hilfe.
Da fand es der welsche Feldherr für ratsamer, sich mit seinem stark hergenommenen Heere nach Bellenz zurückzuziehen. Aber auch der Verlust der Eidgenossen war groß, und die Zuger betrauerten ihre größten Helden. Doch ihr so standhaft behauptetes und nie von Feindeshand gewonnenes Panner verkündigt den Ruhm der kleinen Stadt am blauen See bis auf den heutigen Tag.
Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.