Hinten im Diessbachgraben bei Oberdiessbach hat das Bächlein inmitten mächtiger Tannen einen malerischen Felsenkessel ausgewaschen. Das Volk nennt die Schlucht das Spechtenloch.
Nicht ohne geheimes Bangen gehen Kinder da hinauf. Sie fürchten sich vor dem Spechtenlochpfaff, der in der einsamen Waldschlucht hausen soll.
Vor der Reformation soll zu Oberdiessbach ein gottloser Priester gelebt haben, der den Namen eines Knechtes Gottes kaum verdiente. Er führte ein zügelloses Leben. Statt fleissig die Heilige Schrift zu lesen und sie der Gemeinde auszulegen, stieg er heimlich in den Keller hinab, trank und spielte mit ausgelassenen Gesellen, oder er ging als leidenschaftlicher Jäger dem Weidwerk nach.
Da strafte Gott den Übermütigen seines lasterhaften Lebens wegen. Als er eines Tages eben im Begriffe war, die Kellertreppe hinabzusteigen, glitt er aus, brach das Genick und starb. Im Grabe aber konnte er keine Ruhe finden. In mondhellen Nächten stieg er aus seiner modrigen Gruft hervor und irrte im Dorfe herum. Die Leute schreckte er bald als schwarzer Hund mit feurigen Augen, bald als brennender Knochenmann oder als grüner Jäger.
Schliesslich gelang es einem Kapuziner, ihn einzufangen und zu bannen. Die einsame Waldschlucht, das Spechtenloch, wurde ihm zum Aufenthaltsort angewiesen. Jahr für Jahr darf er um einen Hahnenschritt dem Dorfe näher rücken. Schon ist er bei der Mühle angelangt. Hat er einmal wieder den geweihten Boden der Kirche betreten, so ist er erlöst und wird Ruhe finden.
Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.