Wehe dem, der sich zu seinen Lebzeiten ungerecht fremdes Gut aneignet! Er findet im Grabe keine Ruhe und muss so lange umgehen, bis er seine Übeltaten gesühnt und dem rechtmässigen Eigentümer zurückgegeben hat, was er ihm gestohlen.
Vor vielen, vielen Jahren, so berichten alte Leute, lebte im obern Emmental eine Frau. So oft in Langnau Markt war, erschien sie mit ihrem Marktkorb am Arm im Dorfe, nicht etwa um Einkäufe zu besorgen oder etwas auf den Markt zu tragen. In unbewachten Augenblicken entwendete sie im Gedränge der Marktleute bald hier ein Stück Tuch oder eine Schürze, bald dort ein Paar Schuhe oder sonst etwas Brauchbares und trug es unbemerkt mit sich heim. Im Laufe der Jahre eignete sie sich im Stehlen eine derartige Geschicklichkeit an, dass es den Marktträgern nie gelang, ihr das unsaubere Handwerk zu legen.
Zur Strafe für ihre Verfehlungen erscheint sie nun zuweilen in der alten Kramlaube zu Langnau in der nämlichen altertümlichen Tracht, die sie zu ihren Lebzeiten trug, mit dem Marktkorb am Arm. Was sie einst versündigt, das muss sie wieder gutmachen. Sie findet aber so lange keine Ruhe im Grab, bis «Chumis» Matte dreimal mit Hochwald bewachsen ist. Zweimal schon war die Matte mit prächtigem Wald bedeckt. Geschieht es zum drittenmal, so schlägt für die Büsserin die Stunde der Erlösung.
Aus: Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.