Auch im Emmental weiss die Sage von einer ganzen Reihe untergegangener Orte zu berichten. Teils waren es feste Städte auf lichter Bergeshöhe, die einst als unbezwingbar galten, von denen aber heute jegliche Spur fehlt, teils waren es schmucke Dörfer und ehrwürdige Gotteshäuser mit einer reichen Vergangenheit.
Alle Sagenstädte übertraf an Grösse und Schönheit die Stadt Sumiswald. Sie lag ungefähr an der Stelle, wo sich der heutige Ort gleichen Namens erhebt, war aber viel grösser und reichte westwärts bis an den Münnenberg heran. Am Fusse dieses waldigen Bergzuges, da wo die Grüne vorbeirauscht, standen einst die Stadtmühlen. Der Volksmund erinnert sich noch daran, wenn er den Namen Münnenberg als Mühleberg deutet. Die Stadt Sumiswald war der verkehrsreiche Mittelpunkt des Emmentals und erlangte durch den Gewerbefleiss seiner Bewohner Berühmtheit im ganzen Lande.
Ein bisschen abseits von den Wegen, denen heute der Verkehr folgt, lag die Stadt Brunnberg. Sie stand in uralter Zeit ungefähr zwischen den Dörfern Oberburg und Krauchthal auf der waldreichen Höhe der Krauchthalerberge. Ihre Bewohner sollen ebenfalls gewerbetüchtige und kunstsinnige Leute gewesen sein. Ihr Erfindungsgeist und ihre Unternehmungslust waren weithin bekannt. Mit Hilfe von kunstvoll angelegten Wasserleitungen und einem Pumpwerk eigener Erfindung leiteten sie das Wasser zu ihren Stadtbrunnen von dem benachbarten Stadelbrunnnen her.
Auf der Schöritzegg im Schangnau, einer Gegend, die heute unbewohnt ist, erhob sich einst die bedeutende und weithin sichtbare Stadt Schöritz. Von ihrem einstigen Reichtum zeugt der goldene Schlüssel zu ihren Stadttoren, der noch heute irgendwo in einer alten knorrigen Bergtanne verborgen liegen soll.
Auch von Signau weiss die mündliche Überlieferung zu berichten, dass es einst ebenfalls eine Stadt gewesen sei. An den lieblichen Gestaden eines Sees gelegen, soll sie ursprünglich Seenau geheissen haben.
Aber nicht allein von Städten mit glanzvoller Vergangenheit wissen alte Leute zu berichten.
Auf der wohlbekannten Lüdernalp stand zu jener Zeit ein schmuckes Dorf, dessen Bewohner als tüchtige Weber durch ihrer Hände Fleiss zu Wohlstand und Reichtum gelangten. An Sonntagen pflegten sie den Gottesdienst des benachbarten Klösterleins zu Sankt Oswald am Westabhang der Rafrütti zu besuchen. Heute erinnert nur noch der Name «zum Dosel» an das verschwundene Gotteshaus. Vom Weberdorf aber ist keine Spur mehr zu erkennen.
Die Bewohner dieser Orte lebten in Fröhlichkeit und ruhiger Sorglosigkeit dahin. Jeder dachte nur an sich selbst und sein eigenes Wohlergehen. An Sonntagen feierten sie glänzende Feste und kümmerten sich wenig darum, was die Zukunft bringen mochte.
Da zog der Krieg ins Land. Fremde Kriegshorden überfluteten auch das Emmental, und in wildem Übermut zogen sie brennend und plündernd durch die schöne Gegend. Sie bezwangen die Städte, raubten, was nicht niet- und nagelfest war, und steckten sie in Brand. Denn ihre Bewohner, in sorglosem Leben verweichlicht, hatten ihre Hand nicht an Schwert und Speer gewöhnt und waren unfähig, ihnen zu widerstehen. Was von der Bevölkerung nicht umkam, das zerstreute sich über das Land und überlieferte der Nachwelt die Kunde von einstiger Pracht und Blüte von Geschlecht zu Geschlecht.
Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.