Zur Regenzeit und nach heftigen Gewitterschauern wälzt die Grüne ihre schmutzigen, mit Holz beladenen Fluten aus den Tälern des Napfberglandes der Emme zu. Die Anwohner des wilden Wassers erzählen noch heute folgende Geschichte.
Hinten im Hornbachgraben waren vor Zeiten die Mädchen eines Bauernhofes damit beschäftigt, in der Nähe des Flusses die Wäsche zum Trocknen aufzuhängen. Da erschien ein grün gekleidetes Männchen. Um den Leib hatte es sich ein Hälfterlein gebunden. Freundlich wünschte es den Wäscherinnen guten Tag und riet ihnen, sie sollten ihre Wäsche nicht zu nahe am Flussbett aufhängen, oder sie doch vor Mittag wegnehmen, sonst könnte sie das Wasser wegtragen.
Die Mädchen machten sich lustig über das Männlein und schenkten ihm kein Gehör.
Als aber die Sonne hoch am Himmel stand, ballten sich über den Bergen schwere Gewitterwolken zusammen. Ein furchtbarer Wolkenbruch entlud sich über dem Napfbergland und über dem Tal. Als die Spötterinnen ihre Wäsche in Sicherheit bringen wollten, waren sie schon zu spät. Die Bewohner des Tales eilten aus ihren Häusern, um dem wütenden Wasser zu wehren. Zu ihrem Schrecken kam auf dem Anschutz eine ungeheure Schlange daher geritten. Auf ihrem Rücken sass das grüne Männchen, das am Vormittag die Wäscherinnen vor dem Unwetter gewarnt. Das Hälfterchen hatte es der Schlange angelegt und zügelte damit ihren wilden Lauf. Der Fluss hauste furchtbar. Brücken und Stege trug er spielend talabwärts. Hinten im Tal hatte er auf einer Alp mehrere Kühe mit sich fortgerissen, wälzte sie in seinen braunen Fluten stundenweit durch sein Bett und warf sie schliesslich dem Bauer, dem sie gehörten, auf sein eigenes Land.
Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.