Wer heute nach dem sonnigen Süden reisen will, nach Italien, "wo still die Myrte und hoch der Lorbeer steht", wie der Dichter so schön singt, der setzt sich einfach in die Eisenbahn und fährt im Hui durch das Gotthardgebirge hindurch, und wie er zum langen Tunnel hinauskommt, grüßt ihn schon das erste welsche Dörflein Airolo.
In alter Zeit ging's aber nicht so rasch. Da mußten die Säumer und Italienfahrer, Pilger und Krieger, über den hohen, oft tiefverschneiten Gotthardberg steigen. Und in gar alten Zeiten konnten sie auch das nicht, denn in der grausen Schlucht der Schöllenen, durch die die Gletscherwasser der Reuß toben und schäumen, hörte jeder Weg auf. Der Wildstrom versperrte den Weg ins Welschland. Zwar baute man später einen elenden Steg den Felsenabstürzen nach, den die Leute den stiebenden Steg nannten, aber das war ein gar gefährlicher, schwindliger und schmaler Übergang, den oft Wind und Wetter ungangbar machten.
Das verdroß und bekümmerte besonders die Urner, die gar zu gern hin und wieder aus ihren rauhen Bergtälern ins schöne Land Italien hinuntergestiegen wären, um sich an dem dickroten süßen Wein und den andern guten Früchten und schönen Sachen zu erfreuen. Zudem ging über den Gotthard ihr einziger Weg nach Rom zum Heiligen Vater. Sie wünschten sich daher eine rechte Brücke, über die man auch nötigenfalls mit Roß und Wagen hinüberkommen könnte. Aber alle Mühe und aller Schweiß waren umsonst; der wilde Bergstrom riß immer wieder alle Brückensätze weg, die sie ihm aufzwingen wollten.
Da rief man die Landsgemeinde zusammen, um diese Brückennot zu beraten. Jedoch niemand fand einen Ausweg. Endlich erhob sich der Landammann und sagte: "Zwar ist's gefährlich, sich mit dem Bösen einzulassen, allein Not bricht Eisen, und kommt Zeit, kommt Rat. Meine Meinung ist, man solle mit dem Teufel einen Vertrag machen, daß er uns die Brücke erstelle."
Erst erschraken die Landleute, und es war ihnen bei ihres Landammanns Rat nicht wohl. Aber der Landammann wußte ihnen den roten Wein im Welschland also zu zuckern, daß sie die Lippen danach leckten. Als daher der verwegene Landammann den Antrag zur Abstimmung brachte, siegte er mit einer ansehnlichen Mehrheit. Aber als es sich fragte, wer nun mit dem Teufel den Handel einfädeln sollte, wollte niemand die Hand aufheben. So mußte der Landammann die Unterhandlung mit ihm besorgen, denn, sagten die Urner, er kenne sich bei den großen Herren besser aus als bei den Bauern. Wie der Landammann das dann machte, hat nie jemand vernommen, denn es ist nicht protokolliert worden. Kurzum, der Teufel ließ sich berichten und schloß mit dem Landammann das Geschäft ab, dahin lautend, daß die Brücke über Nacht fertig erstellt und mit Steinwerk wohlbefestigt sein müsse, daß jedoch der erste, der sie überschreite, des Teufels sein solle.
"Beim nächsten Tagesgrauen
ging man dort nachzuschauen,
und über Sturmeswogen
wölbt sich der Brücke Bogen.
Doch an der Brück' auch schon
paßt Satan auf den Lohn."
Am andern Morgen sahen also die Urner mit freudigem Staunen eine feste Steinbrücke über die wilde Reuß liegen, die ihre schäumenden Wasser wütend daran emporschlug. Doch verminderte sich ihr Jubel schnell, als sie an dem Brückenausgang gegenüber den Teufel gewahrten, der mit stechenden, grasgrünen Augen auf seinen Lohn wartete. Da erschien der beherzte Landammann, der den Vertrag mit dem Bösen abgeschlossen hatte, und rief diesem zu: "Hast deine Sache brav gemacht!"
Der Teufel nickte schmunzelnd mit dem gehörnten Kopf. In diesem Augenblick ließ der Landammann einen bereitgehaltenen unbändigen Ziegenbock los, und als dieser nun den Teufel am andern Ufer gewahrte, hielt er ihn ebenfalls für einen Ziegenbock. Sogleich stürmte er wütend über die Brücke und fuhr auf den Teufel los. Da wurde dieser über die schlauen Urner also rasend, daß er den Ziegenbock packte und ihn in hundert Fetzen zerriß. Die Urner aber lachten eins heraus. Das machte den Teufel noch wilder. Er tanzte vor Wut, und dann fuhr er schnurstracks abwärts bis unterhalb Göschenen, wo gewaltige Felsblöcke in den Bergweiden herumlagen. Den größten von allen packte er, lud ihn auf und keuchte damit wieder aufwärts, um die schöne neue Brücke zu zerschmettern.
Als er nun mit der ungeheuren Last, schwer schnaufend, bergan ging, kam ein altes Mütterchen daher. Da setzte sich der Teufel eben ein wenig und legte den Felsblock nebenher. Er wollte etwas verschnaufen.
Wie aber das Mütterchen seinen Bocksfuß ersah, machte sie schnell das Kreuzzeichen über sich und auch gegen den Stein, der auf einmal im Rasen steckenblieb und trotz allem Reißen sich vom Teufel nicht mehr vom Fleck bringen ließ. Nun merkte er, daß mit den Urnern bös handeln sei, und fuhr beschämt zur Hölle. Seither heißt die Brücke in den Schöllenen die Teufelsbrücke und der riesige Stein in den Weiden am Weg unterhalb Göschenen der Teufelsstein.
Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.