Mitten in der Schweiz, im schönen und fruchtbaren Kanton Aargau, steht das Stammschloss der Habsburger, der einstmals regierenden Kaiser von Österreich. Aber es wird schon ewig lange nicht mehr von ihnen bewohnt.
Ausgangs des dreizehnten Jahrhunderts hauste auf jener hochthronenden Burg Graf Rudolf von Habsburg, der nachmalige deutsche Kaiser. Er war ein einfacher Mann und im Lande überall bekannt wegen seiner Klugheit und beliebt wegen seiner Mannhaftigkeit in allen Dingen. Er war aber unablässig darauf bedacht, seines Hauses Macht und Ansehen zu mehren.
Nicht weit ab vom kleinen, lieblichen Katzensee, in dem sich die silberstämmigen Birken spiegeln, hauste ein anderer mächtiger Herr, der Freiherr Lüthold von Regensberg. Der sass auf seiner starken Feste an der Lägern und schaute über die Mauer seines kleinen Städtchens immer gern gegen die nahe Stadt Zürich hin, die er gar gerne unter seine Herrschaft gebracht hätte. Rings um die Stadt hatte er feste Burgen, die sie wie ein steinerner Ring einschlossen und die vollsteckten von seinen Kriegsknechten. Erst wollten die Zürcher versuchen, mit dem hochmütigen Freiherrn gütlich auszukommen. Aber er verdarb es immer wieder mit ihnen, also dass zwischen ihm und der aufblühenden Nachbarstadt eine hartnäckige Fehde aufging.
Da der Freiherr gar mächtig war und auch starke Zuzüge der Adeligen hatte, wandten sich die Zürcher in ihren Nöten an den Grafen von Habsburg um Hilfe. Und der empfing schlicht und bescheiden ihre Boten und sagte ihnen seinen Beistand zu.
Als die Zürcher danach mit dem Regensberger den Streit begannen, erlitten sie zuerst manche böse Schlappe. Aber der Graf tröstete sie, und wie nach und nach der Adel des Aargaus und Thurgaus nicht mehr mit dem Freiherrn Lüthold lief, ging es ihnen und ihrem Schirmherrn besser. Es gelang ihnen, ihm eine Burg um die andere wegzunehmen, bis auf die feste Burg auf dem Berge Albis bei Zürich, die Baldern genannt, und bis auf die Ütliburg zuhöchst auf dem Ütliberg, von wo aus man schier über den ganzen See hinauf und den Zürchern in die Kamine hineinsehen kann.
Solange sie aber diese zwei festen und unzugänglichen Schlösser nicht hatten, konnten sie die Herrschaft des Regensbergers nicht brechen. Mit Gewalt jedoch kamen sie nicht hinein. Da versuchte es der Graf Rudolf von Habsburg mit List.
Eines schönen Abends - die Schneefelder der Glarner Berge waren blutrot in der untergehenden Sonne - ritt der Habsburger mit fünfunddreissig Reitern in die Nähe der Burg. Jeder hatte einen vollständig gerüsteten Mann hinter sich auf dem Pferde. Als sie nun unweit der Burg ins Unterholz kamen, sprangen die hinteren fünfunddreissig Reiter ab und versteckten sich in einer kleinen Schlucht. Andern Tages kamen nun die fünfunddreissig Reiter wieder und streiften übermütig um die Burg, die Burgknechte zum Kampf herausfordernd. Wie diese nun sahen, dass sie's nur mit fünfunddreissig Reitern zu tun hatten, taten sie plötzlich die Tore auf und jagten dem anscheinend flüchtigen Grafen und seinen Reitern nach. Da sie aber weit genug von der Burg weg waren, stiegen die Reisigen, die sich abends vorher bei den Burgmauern in einer Schlucht versteckt hatten, rasch herauf und fielen durchs offene Tor in die Burg ein. Rasch war das Gesinde überwältigt und das Schloss gewonnen, was vom Schlossturm mit Trompetenstössen dem auf Umwegen heranreitenden Grafen Rudolf kundgemacht wurde, worauf die ihn verfolgenden Reiter zerstoben.
Aber noch trotzte zuoberst auf dem Berge, wo einst schon das Urvolk der Kelten aus seinem Refugium über den See hingeschaut hatte, die Feste Ütliburg. Ihr war gar nicht beizukommen, alle Stürme wurden abgeschlagen, obschon nur wenig Mannschaft darin steckte. Doch Graf Rudolf, der Habsburger, wusste Rat.
Die Burgknechte der Ütliburg hatten zwölf milchweisse Schimmel, auf denen sie schier alltäglich zur Jagd oder auf Raub ausritten.
Nun liess der Habsburger durch die Bürger von Zürich ebenfalls zwölf schneeweisse Schimmel rüsten. Dann rückte er heimlich bei Nacht und Nebel aus, den steilen Berg hinauf, und versteckte sich im Hochwald auf der zugänglichen Seite der Burg mit den zwölf Schimmelreitern. Bei ihm befand sich auch noch eine kecke Schar Zürcher Fussvolk. Also erwarteten sie den Morgen.
Als nun die Burgknechte am andern Tag um Mittag auf ihren weissen Schimmeln wie alle Tage zum Burgtor hinausritten, um zu jagen, gab der Graf von Habsburg mit seinen verborgenen Zürchern fein acht, wohin sie sich wendeten, und als nun die Reiter weit weg waren, brach er mit seinen elf Reitern und ihren milchweissen Rossen aus dem Gebüsch und jagte auf die Ütliburg los, hinter ihnen drein aber rannte mit wildem Geschrei das zürcherische Fussvolk.
Jetzt erschraken die in der Burg zurückgebliebenen Knechte, denn sie glaubten, dass es ihre zwölf Schimmelreiter seien, die da von den Zürchern gehetzt gegen die Burg heraufsprengten. Weitauf taten sie das Tor, um sie rasch in die sichere Burg einzulassen. Und so jagten denn der Habsburger und seine Reiter in vollem Galopp durchs offene Tor ins Schloss hinein.
Nun merkten die Schlossknechte den Irrtum, aber da flogen ihnen schon die Blechhauben und Sturmhüte von den Köpfen; die Zürcher kamen hinterdrein, und bald war die Feste genommen. Gleich danach loderte das Feuer daraus himmelan, das den Zürchern drunten in der Stadt als ein willkommenes Freudenfeuer erschien.
Nur noch das Städtlein Glanzenberg, das ebenfalls dem Freiherrn von Regensberg gehörte, war jetzt der Stadt Zürich gefährlich. Es lag hart am Wasser der Limmat und verwehrte den Kaufleuten der Stadt die freie Fahrt auf dem Fluss ins Tiefland gen Basel. Auch da wusste der schlaue Habsburger zu helfen. Auf seinen Rat füllten die Zürcher schwere Warenschiffe mit Fässern, in denen sie Kriegsleute versteckten.
Als nun die Ruderknechte mit diesen Schiffen eines Tages den Fluss hinabfuhren und sich dem Städtlein Glanzenberg näherten, liessen sie im dichten Gebüsch die Bewaffneten aus den Fässern rutschen und ans Land steigen, wo sie sich mit Graf Rudolf vereinigten, der mit seinen Leuten schon im Gestäude steckte, denn er war nachts dahin geritten. Wie nun die Schiffe nahe beim Städtlein Glanzenberg waren, drängten sie die Ruderknechte ans Ufer, stiegen aus, ein fürchterliches Jammer- und Hilfegeschrei erhebend, und allerlei Zeug, sonderlich Tuchwaren, in die schnellen Wasser der Limmat werfend.
Jetzt ging das Tor des Städtleins auf, und die Stadtknechte und das geringe Volk der Einwohner stürzten heraus, um alle die Waren, die im Wasser schwammen und die sie für gestrandet hielten, zu rauben. Aber die Schiffsknechte, die wohlbewehrt waren, empfingen sie mit Hieben und hielten sie so lange hin, bis aus dem Städtlein ein mörderisches Geschrei herausgellte. Da wussten sie, dass der Habsburger derweilen mit seinen Reitern und den Zürchern in das feste Wassernest eingefallen war. Des Städtleins Kriegsknechte aber und die Einwohner, die sich so unbesonnen von ihrer Habgier hatten hinauslocken lassen, machten sich voll Schrecken davon, als sie aus dem Städtlein einen roten Rauch aufgehen sahen. Also ward auch dies letzte Bollwerk des Regensbergers um die Stadt Zürich genommen und bis auf den Grund so völlig zerstört, dass heute in seinen wenigen Trümmern nur noch etwa ein einsamer Reiher nistet. Der einst so mächtige Regensberger aber musste zuletzt froh sein, dass ihn die Zürcher als ihren Bürger annahmen, und in der Stadt beschloss der Freiherr, dem einst der halbe Zürichgau gehörte, sein Leben.
Der einfache und leutselige Graf Rudolf von Habsburg aber hatte an der aufstrebenden Stadt Zürich einen guten Freund gewonnen. Später wurde er zum deutschen Kaiser gekrönt und brachte als solcher sich und sein Haus zu grosser Ehre.
Von diesem deutschen König wäre gar viel Rühmliches zu erzählen. Ich will nur noch ein lustiges Stücklein von ihm berichten, das zeigt, was für ein gutmütiger Herrscher er gewesen ist.
Nämlich, einst hielt er Hoflager vor der Stadt Mainz. Da ging er, wie oft, als ein bescheidener Landsknecht gekleidet, in die Stadt. Weil es aber bitter kalt war, trat er in eine Bäckerei ein und machte sich an den Backofen, die Hände zu wärmen. Doch die Bäckerin wollte das nicht leiden und schnauzte ihn an: "Geh fort, du schäbiger Hund, zu deinem Bettelkönig, der mit seinen Reisigen und Knechten das ganze Land aufzehrt. Und wenn du dich nicht gleich rausmachst, so giesse ich dir diesen ganzen Kübel voll Wasser über den Kopf!" Das schrie die Bäckerin mit noch ärgeren Schimpfworten. König Rudolf wollte sich einen Spass machen und ging nicht. Da goss ihm das Weib wahrhaftig den ganzen Kübel voll eiskalten Wassers über den Kopf, also dass er troff wie ein Regendach im Wolkenbruch. Jetzt eilte der König davon, ins Lager zurück vor der Stadt und kleidete sich um. Bei Tische erzählte er lachend sein Abenteuer. Dann nahm er eine Flasche guten Weins vom Tisch und schickte sie samt einer Schüssel der auserlesensten Speisen durch einen Diener zu der unhöflichen Bäckerin. "Geh", sagte er zu ihm, "bring ihr das mit meinem Gruss und sage ihr, der alte Landsknecht, dem sie am Morgen so gastfreundlich den Kübel voll Wasser über den Kopf geleert habe, lasse sich bei ihr für das frische Bad schön bedanken."
Wie erschrak die unfreundliche Bäckerin, als sie vom Diener vernahm, wem sie am Morgen solches Leid angetan hatte. Sie eilte ins Lager, warf sich vor dem König in die Knie und bat ihn flehentlich um Verzeihung. Er aber sagte: "Ich will dir verzeihen, doch musst du nochmals alles so sagen, wie du's mir am Morgen gesagt hast. "Wohl oder übel musste sie's tun, und wo sie ein Wort vergessen hatte, half ihr der König getreulich nach. Da kamen die fürstlichen Herren, die um den Tisch sassen, nicht aus dem Lachen heraus. Das Volk aber, als es das hörte, liebte den König erst recht um seiner grossen Güte und Bescheidenheit willen.
Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch