Im ganzen Kanton, am meisten im Schächental, spricht man von »Heidenhäusern«. Es sollen nämlich vor alten Zeiten Heiden im Lande gewohnt haben, die solche Häuser erbauten. Es sind gewöhnlich Bauten aus dem 16. und ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. Ältere Leute im Schächental machen einen Unterschied und sagen, die eigentlichen Heidenhäuser seien jene, deren Dielen eingewandet sind, d.h. durch die Hauswände hindurchgehen und von aussen sichtbar sind. Meines Wissens steht nur noch eines dieser letzteren Art im Oberdorf zu Spiringen, das bis vor kurzem einem Michel Arnold gehört hat. Ein zweites stand bis 1915 im Küfermätteli im Dorf Spiringen. Schmucklose Holzhäuser, ohne Friese und Gurten, ohne Jahrzahlen, wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, vielleicht auch älter. Was die Heiden anbetrifft, so werden sie von vielen Erzählern mit den wilden oder Heidenleuten identifiziert, die in Höhlen und Bergklüften wohnten, während andere sich nicht näher aussprechen. Doch werden nie die Zigeuner als Erbauer angesehen, obgleich sie auch Heiden genannt werden.
Das ehemalige Datschihüseli im Uoli zu Spiringen soll auch ein Heidenhaus gewesen sein. Von den Heidenhäusern behauptet man, dass sie nicht verbrennen, solange man an ihnen keine baulichen Änderungen vornimmt. Das frühere Haus unter dem Nessli zu Unterschächen soll eines gewesen sein. Der Eigentümer riss es, weil alt, nieder und baute ein neues, das bald verbrannte. Da sagte die Mutter: »Hättet ihr das alte stehen lassen, das wäre nicht verbrannt!« Eines der bekanntesten Heidenhäuser ist das kleine alte hölzerne »Datschihüsli« bei der »roten Brücke« in Bürglen; obwohl die ganz nahe Fabrik und die Häuser in seiner unmittelbaren Nähe mehrmals, ja sogar die ehemalige hölzerne »rote Brücke« wenigstens einmal abgebrannt, dieses Häuschen hat alle Brände überstanden. »Es muss also doch etwas daran sein, dass die Heidenhäuser nicht verbrennen.« Aber seit 1913 hat es doch sein Aussehen bedeutend geändert und ein hoffärtiges neues Kleid angenommen. Ob es dabei seine Unverletzlichkeit eingebüsst? Die Zukunft wird es lehren. Auch das Dorf Andermatt in Ursern kann nicht verbrennen, weil es aus lauter alten Heidenhäusern besteht. Auch das kleine, von Grund auf bis in das Dach aus Steinen aufgemauerte Datschihüsli, das noch zu Menschengedenken bei Sigmannig gestanden und nur Stube, Stübli, Küche und Firstkämmerchen enthielt, 1722 als Steinhaus zu Sigmannig in einer Rechnung aufgeführt wird, ferner ein ähnliches Steinhäuschen, das »bei der Schützen« zu Silenen steht, das Steinhaus im Buchholz und der Turm im Dörfli zu Silenen, das Holzhaus in der alten Hostet zu Intschi, das ehemalige Häuschen zu Husen in Meien, dessen heutigen Nachfolger Berner gebaut haben, und ein altes Holzhaus neben der Kirche in Meien galten oder gelten z.B. als Heidenhäuser oder Heidenbauten. Eine »Heidenmauer« bildet die Westseite eines Hauses zu Fernigen in Meien, und ein »Heidenkellerchen« soll Michel Bissigs Haus in Unterschächen besitzen.
Von den Heidenhäusern wird im Schächental die Eigentümlichkeit behauptet, dass sie immer mehr oder weniger offen seien: entweder ist im Schindeldach eine Lücke, oder es ist eine Fensterscheibe herausgeschlagen, basta, immer ist eine ungehörige Öffnung da; wird die eine geschlossen, tut sich die andere auf. Das konnte man gerade an jenen Heidenhäuschen bei der roten Brücke beobachten; beständig fehlte da die eine oder andere Fensterscheibe. (Es wohnten arme Leute darinnen.)
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.