a) Am längsten hielten sich die Heidenleute auf im »Chastä«; das ist eine steile felsichte Bergwand bei Unterschächen am Eingang in das romantische Brunnital. Eine Felsenhöhle daselbst dringt tief in das Berginnere vor. In dieser Höhlung lebte eine Heidenfamilie, aus der eine Tochter als Magd bei einer Unterschächnerfamilie auf der Windeggen diente. Einst musste diese Magd mit ihren Meistersleuten in das Brunnital zur Arbeit »männen« gehen; zu Hause hatte sie ein Werkzeug vergessen und eilte darum zurück, um es zu holen. Bevor sie ihre Leute wieder eingeholt, rief ihr jemand aus dem Heidenloch zu: »Zysi-Müsi! Das alt Churri-Murri isch gstorbä!« Seit jenem Augenblick bekam sie niemand mehr zu sehen.
b) Wilde Leute lebten auch in einer Höhle in der Nähe des Badhauses zu Unterschächen, aber am entgegengesetzten, also rechten Ufer des Brunnischächens und ganz besonders in der Lisslerenbalm im Brunnital und in Kerschelen.
Ein Heidenmädchen diente bei einer Familie in den Schächentalerbergen. Seinen Namen wussten sie nicht. Es war an einem Wintertage, als ein Mann aus dieser Familie an der Lisslerenbalm vorbeischritt, um ein Joch, das er auf der Achsel trug, einer Abteilung arbeitender Leute in Chärschälä zuhinterst im Tale zu überbringen: sie mussten Holz talauswärts männen. Da rief ihm eine Stimme aus der Lisslerenbalm zu: »Jechliträger! säg am Züzzi-Müzzi, das alt Churrli-Murrli syg g'schtorbä.« Ahnungslos richtete der Mann diesen Auftrag aus. Da machte sich das Heidenmädchen davon und kam nie mehr zum Vorschein.
In anderer Fassung lautete der Zuruf: »Jechliträger! säg am Rüchrind, äs sell heichu, dz Zussi-Mussi syg g'schtorbä!« Das wäre die Mutter gewesen. Oder: »Dz Zuzimuzi well stärbä.« Oder er hörte rufen: »Jocheliträger!« Er stand still und schaute um, dann rief es wieder: »Jocheliträger! dz Duzimutzerli sell heichu, der Rüchgrind isch g'storbä.« Erzählte zu Hause sein Erlebnis. Die Magd hörte es, machte sich davon. Oder: »Jechliträger, säg am Churri-Murri, dz Zutzimutzi syg g'storbä!« Erzählte am Abend am Tisch zu Hause sein Erlebnis. Magd hörte es und verliess sofort das Haus. Kam wieder nach einigen Tagen und sagte, sie habe heim müssen, weil ihre Mutter gestorben sei. Blieb nun.
Namen aus dieser Sage begegnen uns in einem alten Anzählreim aus Uri:
Dirrli-Murrli,
Chatzä-Murrli,
Iber Hüs und Hoff,
Alli grieni, g'spriggiti Ross.
Äs läuft ä Fräuw i dz Hiehnderhüs
Und stellt die beschtä Hiehnder drüss,
Die, wommä hinder d'Tirä tüet.
Bilz, bolz,
Tannigs Holz,
Zich der Riemä,
Gang ga dienä.
Zysi-Müsi,
Chatzäzüsi,
Mach-di iber d'Stägä-n-innä.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.