Im Isental gab es vor Zeiten wilde Leute. Die meisten bewohnten die Ruosstalbalm, auch Heidenbalm genannt, und das Hornefeli. Die Gemsen hielten sie für ihre Ziegen, hüteten und molken sie. Ihre Freunde und Gönner beschenkten sie mit Gemskäschen, die immer wieder nachwuchsen, wenn man sie nicht ganz aufass. Als die ersten Jäger ins Tal kamen und anfingen, die Gemsen zu schiessen, da wurden die wilden Leutchen traurig, weinten und sagten laut klagend: »Jetzt töten sie alle unsere Geisslein, jetzt müssen wir fort!« Mit den Leuten des Tales standen sie auf gutem Fusse und kehrten in ihre Häuser ein und waren ihnen beim Heuen und Viehhüten behilflich. Sie hatten verkehrte Füsschen. Wenn man z.B. morgens in das Kieintal hineinging, so erblickte man die Fusspuren eines Männchens, das schon taleinwärts gegangen; in Wirklichkeit, so brachte man nach und nach in Erfahrung, war es ein Wildmandli, das schon talauswärts gewandert war.
Einst näherten sich einige wilde Leutchen einer Alphütte (nach andern dem Berghäuschen in Hermisegg), wo sie manchen guten Dienst geleistet hatten. Die geizigen Älpler (nach anderer Erzählart: die Kinder, die allein zu Hause waren) waren gerade am Essen und hatten das russige Chupferchessli mit dem Nidelreisbrei (oder ein Muttli voll Milchsuppe) auf dem Tische, als sie die Wilden kommen sahen. Mit denen wollten sie aber nicht teilen. Also rasch mit dem Chupferchessli (mit dem Muttli) unter die Bank! Einige Minuten warten die Wilden, dann aber entfernen sie sich, indem sie höhnisch fragen: »Wend-er hinecht under dä Bänkä-n-ässä?«
Auch die Geschichte vom Wildmandli und Föhn wird hier erzählt. Das Wildmandli hielt sich unter der »Müttäleiti« versteckt, d.h. unter der Bank, auf der die Mutten aufgestellt werden.
Mich. Imhof; Hans Aschwanden
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.