a) Ob Unterschächen »auf der Flueh« wohnten vor alter Zeit »wilde Leute«. Niemand wusste etwas Näheres von ihnen, niemand kannte sie oder wusste, woher sie gekommen. Sie kamen gekleidet einher wie Zigeuner und behaupteten, der Fluehwald sei ihre Wohnung. In Aussehen und Grösse waren sie wie die Talleute, aber an ihren Füssen hatten sie die Fersen nach vorne und die Zehen nach hinten. Diese wilden Leute kamen von Zeit zu Zeit in das Dörfli hinunter, taten niemand etwas zuleid, wurden aber von den Leuten drunten angestaunt und beobachtet.
b) Einmal kam eine Frau der wilden Leute in das Dörfli hinunter und bat eine Frau drunten um Milch. Die Unterschächnerin gab ihr, und dann sagte die wilde Frau zur andern, sie solle an dem und dem Tage unter die Flueh kommen, sie wolle ihr dann einen Gegendienst erweisen. Die Frau folgte der Einladung und dachte bei sich: »Ich will wenigstens ga lüegä, ob si chunt.« Die Wilde kam wirklich die Fluehleiter hinunter und brachte ihr eine Fürscheibe voll Laub. Die Unterschächnerin war darüber enttäuscht und unzufrieden und murrte in Gedanken: »Wenn i das g'wisst hätt, wägä dem wäri jetz nu nitt da üfä g'gangä.« Doch nahm sie das Laub in ihre Schürze und trat den Rückweg an. Die Wilde dingte ihr noch an und ermahnte sie, sie solle wohl acht geben und kein Blättchen verlieren. Dann ging die Frau mit dem Laub heim, indem sie bei sich dachte: »Dessis hani däheimä g'nüeg« zerstreute sie eine Handvoll nach der andern. Jetzt rief ihr die andere nach:
»Wie meh dü verzatterisch,
Wie weniger dü hatterisch.«
Aber die also Gewarnte achtete nicht darauf und verzatterte auf dem ganzen Heimweg die Blätter. Als sie zu Hause ankam, hatte sie nur noch ein einziges in der Schürze, und indem sie es herausnahm, war es ein Zwanzigfrankenstück. Jetzt erst verstand sie die Worte der wilden Frau, die es gut mit ihr gemeint hatte, und ging zurück, um das Laub wieder zusammenzusuchen, fand aber gar nichts mehr.
Schriftlich von HH. Kaplan K. Truttmann, Urnerboden
c) Hebamm wird geholt. Das wilde Mandli nimmt sie auf einen Stecken und fährt mit ihr durch die Luft der Flueh zu und wieder zurück. Verliert die Blätter bis auf eines im Riedboden. Ein Goldstück auf der Herdplatte.
Karl Gisler
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.