Im Heidenstäfeli ob Unterschächen findet man Erdhöhlen, die sich ziemlich tief in das Innere des lockern Berges hineinziehen; sie werden Heidenlöcher genannt und sollen von den Heiden oder Wilden ausgegraben und bewohnt worden sein. Es waren freundliche Leutchen, die öfters in die benachbarten Berggüter, in die Frytterberge, hinabkamen und den Schächentalern bei verschiedenen Arbeiten behilflich waren. »My Vatter het gseit, sy Grossvatter heig die wildä Mandli nu gseh«, behauptet eine etwa 65 Jahre alte Schächentalerin aus den Frytterbergen.
Eines dieser wilden Mandli kam einst in das Dorf Unterschächen und holte die Hebamme. In merkwürdigem Kauderwelsch konnte es sich mit Mühe verständlich machen. Die Hebamme folgte ihm und kam in eine Höhle. Nachdem sie ihres Amtes gewaltet, gaben ihr die wilden Leute eine Schürze voll dürres Buchenlaub zum Lohn und ermahnten sie recht ernsthaft, wohl darauf zu achten, nichts zu zerstreuen, zu Hause die Asche sorgfältig ab dem Herde zu wischen und dann die Blätter auf den saubern Herd auszuleeren. Unterwegs aber zerstreute sie absichtlich die ihr wertlos scheinenden Blätter und beachtete nicht, dass ihr die Heidenleute nachriefen:
»Was dü verzatterisch,
Das dü verhatterisch.«
Daheim angelangt, hatte die Hebamme nur noch ein einziges Blatt in der Fürscheibe, das sie mehr wundershalb als im Ernst auf die gesäuberte Herdplatte ausschüttete. Da war es ein blinkendes Stück des vornehmsten Goldes! Zurückeilen um die zerstreuten Blätter einzuheimsen, musste sie niemand heissen, aber gefunden hat sie keines.
Der Spruch lautet auch:
»Wie meh dü verzatterlisch,
Wie minder dü hatterlisch.«
Statt der Buchenblätter werden ebenso häufig Kohlen und seltener Hobelspäne und Getreidekörner genannt.
Ein artiges Heidenknäblein hatte die Hebamme auf ihrer Heimkehr begleitet. Auf halbem Wege kam ihr das eigene Kind entgegen. Als dieses des Heidenknäbleins ansichtig wurde, heftete es lange seinen scharfen Blick auf dessen Füsschen und rief endlich mit allen Zeichen höchster Verwunderung: »Lüeg äu da züe, Müetter, weeligi küriosi Fiessli het der Büeb!« Da machte sich das Heidenbuebli davon, und indem es den Augen der beiden Unterschächner entschwand, rief es noch zurück:
»Chlyni Lytli, ds Tyfels Hytli!
Die Chlynä sind die allerfylschtä
Hitt nu hie und de nimmermeh (nienämeh).«
Seitdem liessen sich die wilden Leute aus dem Heidenstäfeli nie mehr blicken.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.