Auf rätselhafte Weise wurde seit einiger Zeit in einem Stall über Nacht eine Kuh gemolken. Endlich entschloss sich der geschädigte Bauer, im Obergaden Wache zu halten und dem unverschämten Milchdieb aufzupassen. Die Nacht war schon weit vorgerückt, und es nahte der Morgen, als er durch eine Ritze in der Gadenwand ein höchst sonderbares, einem Lindwurm ähnliches Tier sich dem Stalle nähern sah. Bei der Türe nahm es eine schöne, goldene Krone vom Haupte, legte sie auf die nahe Mauer, öffnete dann die Türe, schlich in den Gaden, legte sich unter die willige Kuh und begann sie zu saugen. Der Bauer war aber nicht auf den Kopf gefallen; rasch schlich er barfuss aus seinem Versteck hervor und auf die köstliche Krone los, packte sie und floh mit ihr wieder seinem Schlupfwinkel zu, den er aus guten Gründen sorgfältig und geräuschlos verschloss. Nachdem sich das Tier gesättigt, verliess es den Gaden und schloss hinter sich die Türe. Es wollte seine Krone wieder aufsetzen, aber fand sie nicht. Da wurde es wütend; blindrasend und verzweifelnd zerschlug es sich selber Kopf und Schwanz an dem Gemäuer und Gestein, bis es elendiglich verdarb.
Sobald eine Schlange Kühe saugt, ist sie nicht mehr giftig.
Fr. Wipfli-Herger, 78 Jahre alt.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.