Auf der Alp Bödmern am Klausenpass hatte man viel von den Schlangen (Wirä) zu leiden. Da kam einmal ein fremdes Mandli daher, man glaubt, es sei ein fahrender Schüler gewesen; es gewahrte das lästige Ungeziefer und fing daher an, mit den Leuten darüber zu reden. Diese klagten ihm ihre Not und verheimlichten nicht, dass sie dessen gern los würden. »Wenn keine weisse Schlange unter ihnen ist, so kann ich helfen«, sagte er, »ist aber eine einzige weisse in der Gegend, so bin ich verloren. Ihr müsst mir deshalb aufrichtig sagen, ob ihr je eine solche gesehen.« Die Leute, denen gewiss schon Hunderte dieser Tiere zu Gesicht gekommen, beteuerten, nie eine weisse Schlange erblickt zu haben. Mit einem schwertähnlichen Messer zeichnete jetzt das Männlein rings um sich herum einen Kreis in den Erdboden, zog ein Pfeifchen hervor und begann zu pfeifen. In gewaltigen Scharen kamen jetzt die Schlangen von allen Seiten gekrochen bis an den Kreis heran, aber nicht weiter. Es war ein schauerlicher Anblick, der das Herz im Leibe erzittern machte. Nun hörte der Fremdling auf zu pfeifen, zog sein Schwert und hieb den Tieren die Köpfe ab. Zum zweiten Mal begann er seine geheimnisvolle Musik, wieder kamen die Reptilien wie geschneit, wieder konnte er sie ungestört köpfen. Zum dritten Male erschienen ihrer nicht mehr so viele. Doch was ist das? Ein Schatten streicht über den Boden. Ängstlich schaut der Schlangentöter auf. Da kommt durch die Lüfte ein riesiger, schneeweisser Wurä mit goldglänzender Krone auf dem Haupte gerade auf ihn zugeschossen. »Jetzt bin ich verloren! Das ist der Schlangenkönig!« schreit er auf, stellt blitzschnell sein Schwert mit der scharfen Spitze nach oben auf sein Herz und schaut dem Untier scharf entgegen. Dieses schiesst mit aller Kraft gerade auf die Spize des Schwertes zu; so genau hatte es auf das Herz des fahrenden Schülers gezielt.
An der scharfen Spitze zerschmettert es seinen Kopf oder den ganzen Leib. Es geht zugrunde; aber einige Tropfen von seinem giftigen Blute fallen auf die Hand des fahrenden Schülers und bringen ihm den Tod.
Nach anderer Erzählart enthäutete er die weisse Schlange und einige von den andern und entnahm ihnen das Fett, das sei sehr köstlich und sei gut für etwas; aber für was, konnte mir niemand sagen.
Die nämliche Sage wurde mir auch aus dem Maiental erzählt.
Daniel Imholz, K. Gisler, Unterschächen, und a.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.