Der Urispiegel, in der Mundart »Uerispiägel« genannt, war dem Teufel verfallen. Jedes Jahr kam der letztere, um ihn abzuholen; aber der Urispiegel schlug immer wieder eine Wette vor oder verlangte ein Kunststück vom Höreler und sagte: »Wenn du die Wette gewinnst oder das Kunststück zustande bringst, so will ich mit dir kommen, andernfalls musst du mir eine Gnadenfrist zugestehen.«
Der Urispiegel verlangte, er müsse schwarze Wolle weiss waschen. Der Teufel machte sich an die Arbeit und rieb eine dicke Steinplatte durch, aber die Wolle blieb schwarz, und unwillig legte er die Arbeit auf die Seite mit den Worten: »Sübiri wär-si, aber wyssi will-si nitt wärdä.«
Das andere Jahr hätte er von einer Sau Wolle scheren sollen. Aber die Sau schrie und die Borsten waren nicht Wolle; da wurde der Teufel wild und schnerzte: »Meh Gschrei as Wullä«, und gab es verspielt.
Äs andersmal hätt er sellä mit Yschzäpfä-n-afyrä. Sowyt heigers doch pracht, dass grochä heig; aber achu heigs nitt wellä. Und darnah heig-er gseit: »Rychä täts! wennds achunnt, sä brinnts.«
Wieder stand er vor der Aufgabe, einen Furz durch ein Barnenloch hindurch zu fassen und zu knüpfen oder einen »Lätsch« hinein zu machen. Urispiegel legte sich in den Barnen und liess einen durch das Barnenloch fahren. Eine Weile machte der Teufel allerlei Manöver, dann aber meinte er resigniert: »Gheert hanä und gschmeckt ha-nä äu, aber gryffä cha-nä nitt.«
Der Urispiegel hatte den Teufel ganz in der Gewalt und traktierte ihn heillos. So verlangte er einst drei Kunststücke auf einmal von ihm: Er musste mit einer gläsernen Schaufel Steine klopfen; das brachte er zustande. Ein zweites Stück gelang ihm auch, und dem Urispiegel wurde es schon angst. Aber das dritte: Sagmehl zu knüpfen, war ihm unmöglich. Er musste bekennen: »Das chani nitt, das Sagmähl isch ja vill z'churzes!«
Auch im folgenden Jahre stellte ihm der Urispiegel eine dreifache Aufgabe, welcher er sich nicht gewachsen zeigte: Ysäweggä lind zu sieden, Schiesspulver anzuzünden ohne in Brand zu stecken, und Sagmehl in ein Heugarn zu fassen.
Einmal hätte er eine Biene erschaffen sollen. Tatsächlich brachte er ein kleines, geflügeltes Tierchen zu weg. Er sagte zu ihm: »Flyg«, und da war es eine Fliege.
Der Urispiegel war nie verlegen. Als ihn der Teufel wieder einmal packen wollte, sagte er: »Wenn du mir drei Dinge bringst, die ich dir bezeichne, so will ich dein sein, sonst musst du noch ein Jahr auf meine Wenigkeit verzichten.« Der Teufel ging auf das Angebot ein, und der Urispiegel schickte ihn, die folgenden drei Dinge herzuschaffen: Holz von einer Kanzel, auf der noch nie gelogen wurde, Milch von einer keuschen Jungfrau und einen Zopf von Krötenhaaren. Aber der Urispiegel bekam keinen von diesen drei Gegenständen zu sehen, und der Teufel liess den Schwanz hangen und trottete ohne Beute davon.
(Bei all den obigen Kunststücken wird, besonders im Schächental und am Ostufer des Urnersees, oft statt des Urispiegels Dr. Füst oder Dr. Füster genannt.)
Im nächsten Jahr erschien der Teufel, als die Leute gerade die Kartoffeln pflanzten, und traf den Urispiegel in seinem Erdäpfelgarten und wollte ihn nehmen. Da machte der Urispiegel einen Vorschlag zur Güte: »Wir wollen diesen Garten je zur Hälfte miteinander nutzen. Welcher von uns beiden den grössern Ertrag daraus zieht, hat gewonnen.« Der Teufel ging auf den Handel ein. »Welche Hälfte willst du, die obere oder die untere?« fragte der Urispiegel. »Die untere«, entschied sich der Gehörnte. Da pflanzte der Urispiegel Korn statt Kartoffeln, und am Herbst hatte der Teufel die Wurzeln und der Urispiegel die Ähren. Im folgen den Lanxi wollte es der Teufel anders haben, er begehrte die obere Hälfte. Da steckte der Bauer Kartoffeln, und der Teufel musste am Herbst mit dem Kraut fürlieb nehmen und den Urispiegel auf Erden zurücklassen.
Jetzt wollte aber der Teufel den Stiel umkehren und als er kam, um den Urispiegel zu nehmen, sagte er siegesgewiss: »Jetzt will ich einmal die Aufgabe stellen. Wenn du mir nicht ein Tier zeigen kannst, das ich nicht kenne, so gibts keinen Pardon.« Der Urispiegel erschrak im ersten Augenblick, dann aber ging er heim, zog seine Frau nackt aus, bestrich sie mit Honig und wälzte sie dann in einem Haufen Hühnerfedern herum. Als der Teufel kam, zeigte er ihm diese aussergewöhnliche Gestalt und fragte, ob er das Tier kenne. Der Gefragte beschaute das Ding eine Weile und bekannte dann: »Nei, ä sonnes Tiär, wo ds Ütter zwischet dä Vorderbeine obä het, hani doch nu keis gseh.« So hatte der Urispiegel wieder eine Jahresfrist gewonnen. Zuletzt ging er aber doch dem Teufel in die Schlinge, aber wie das zuging, weiss ich nicht.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.