Die Leute eines Dorfes sahen fast jeden Abend einen ihrer Mitbürger auf weissem Rösslein den breiten Flussdamm hin- und herreiten. Er war ein rechtschaffener Mann, aber bei den Leuten wegen seiner Zurückgezogenheit nicht beliebt, und weil er ihnen nicht sagte, was er auf dem Damme treibe, so trauten sie ihm das Schlimmste zu. Er gehe auf List und Ränke aus, vermuteten die einen; er sinne auf Raub und Diebstahl, hiess es bei den andern. Das Geschwätz wurde immer ärger und griff beständig um sich, und doch tat der Mann nur Gutes. Doch siehe, er starb, und noch immer machte er zur nämlichen Stunde wie vorher seinen abendlichen Ritt auf dem weissen Rösslein über den Flussdamm. Man kann sich denken, was das für ein Geschwätz absetzte. Jetzt triumphierten die Lästermäuler: »Seht, wir haben's gesagt! Da muss er jetzt wandlen um seiner Missetaten willen, die er im Leben verübt; jetzt kommt's aus, was er da getrieben hat!« Es war ein heilloses Gerede. Endlich stellte ein frommer Kapuziner, der von dem Geschwätz vernahm, den Reiter zur Rede. Der musste Farbe bekennen und gestand: »Ich bin der Teufel und habe Gewalt bekommen, mich diesen argwöhnischen, schmähsüchtigen Dorfleuten in der Gestalt des Verstorbenen zu zeigen, um ihren Verdacht zu nähren und sie in mein Garn zu locken.«
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.