Zu Spiringen lebte im 19. Jahrhundert ein Krämer des Namens Lyrer, genannt der Mähl-Lyri. Der hatte die Gewohnheit, öfters vom Geldscheisser zu reden. »Hätte ich doch einen Geldscheisser! Einen Geldscheisser sollte man haben!« waren ständige Redensarten von ihm. Als er eines Tages mit einem Korb voll Waren von Altdorf her kam und beim Helgen-Nussbaum zwischen Brigg und Trudelingen g'hirmete, dachte er auch wieder seinen Lieblingsgedanken. Schau, da läuft auf einmal ein prächtiges, goldgelbes Mäuschen in seiner nächsten Nähe umher, umkreist ihn, springt über seine Füsse. »E, das ist doch ein schönes Mäuslein«, denkt der Mähl-Lyri, ohne etwas Böses zu ahnen, steht auf und wandert dem Schächental zu. Im Vorzeichen des Kapellchens zu Trudelingen ruht er abermals aus mit seiner Last. Wie er um sich blickt, ist das goldene Mäuschen auch schon da und schlüpft behende hin und her, kommt ihm nahe, doch nie bis in das Vorzeichen hinein. Bei der dritten G'hirmi, nämlich zu Wytterschwanden, erschien es wieder und machte die nämlichen Faxen. Von da an begleitete es den Krämer bis zu Haus und Heim im Dorfe Spiringen und blieb bei ihm in seinem Hause. Es tummelte sich stets in seiner Nähe, lief ihm voraus, umkreiste ihn, sprang über seine Füsse, schaute ihn mit prächtigen Augen freundlich an, tat überhaupt ganz vertraut mit ihm. Solches Wesen gefiel dem Mähl-Lyri allmählich nicht mehr, und als das Mäuslein am dritten Tage zu ihm auf den Tisch und ins Bett kam, wurde es ihm angst und er fasste den Entschluss, bei den Kapuzinern in Altdorf sich Rat und Aufschluss zu holen. Als er sich auf den Weg machte, gesellte sich das Tierchen zu ihm und begleitete ihn bis zum grossen Kreuz »zum gächä Tod« unterhalb des Kapuzinerklosters. Als es dort verschwand, kehrte auch der Lyri um; wie er zum Helgen-Nussbaum kam, war auch das Mäuschen da und begleitete ihn nach Hause und blieb wieder bei ihm. Ein zweites Mal machte er sich auf den Weg zu den Patres; wieder von seinem Mäuslein begleitet bis zum schon genannten Kreuze, wo es verschwand. »Jetzt gehe ich aber doch«, dachte unser Mähl-Lyri, und stieg den Stutz hinan zum Kloster, wo er einem Pater alles von A bis Z erzählte. Der hörte ihn freundlich an, sagte ihm dann, er solle auf ihn warten, bis er wieder komme, und ging weg. Lange, lange wollte der Pater nicht zurückkehren, dass der Mann anfangs meinte, er komme nicht mehr. Endlich erschien er wieder und sagte, den Zeigefinger drohend erhoben: »Ma, Ma! das machet niämeh! das isch der Tyfel gsy. Der hättech de scho Gäld pracht!«
Das hat uns Geschwistern einst das alte Mattli Johanni erzählt, als wir uns einen Geldscheisser wünschten, und hat uns ermahnt, ja nie mehr einen solchen Wunsch verlauten zu lassen. Der Mähl-Lyri habe es ihm selber erzählt.
Frau Nell-Gisler, 52 Jahre alt, von Spiringen
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.