Während 50 Jahren versah Andreas Planzer, genannt »Buggliger«, die Sigristenstelle an der Pfarrkirche zu Bürglen. Von ihm sagte das Volk, er habe mehr gesehen als andere Leute, weil er »z'alten Wochen« geboren war.
a) Schon öfters hatte ihm eine unsichtbare Person, wenn er morgens zu beten läuten ging oder abends von dieser Verrichtung zurückkehrte oder wenn er, wie andere erzählen, in der Gegend von Loreten z'Gass ging, Steine nachgeworfen. Auf den Rat eines Kapuziners redete er eines Abends den Geist an, behielt sich aber klugerweise das erste und letzte Wort vor. Das muss man immer tun, wenn man mit Geistern spricht, denn sie haben keinen eigenen Atem, sondern reden mit dem Atem des Lebendigen, welchen sie zu Tode reden könnten, wenn er sich nicht das erste und letzte Wort ausbedingt. Auf des Sigristen Ansprache wurde der Geist sichtbar. Der Sigrist erkannte ihn, wollte aber nie verraten, wer es gewesen; die Leute mutmassten, es sei dessen verstorbene Frau, Rosalia Arnold, gewesen. »Du kannst mich erlösen,« offenbarte die Erscheinung, »wenn du keine grünen Kirschen issest, keine geistigen Getränke mehr geniessest und eine Anzahl heilige Messen für mich lesen lässest. Haltest du dies alles, so werde ich dir im Himmel einen goldenen Sessel bereit halten und wirst du Vater einer grossen Familie werden.« Der Sigrist versprach das alles, und als ihm zum Abschied der Geist die Hand reichte, hielt er diesem nach Weisung des Paters sein weisses Nastuch oder, nach anderer Erzählart, ein Stück Holz hin. Es war nachher, soweit es die Geisterhand berührt hatte, verbrannt. Andreas aber, bisher ein grosser Freund des »Geistigen«, hielt nach übereinstimmendem Zeugnis älterer Leute das Versprechen getreulich sein Leben lang.
b) Dem Sigrist Andreas Planzer, wenn er in sein Rütteli zuhinterst im Riedertal hirten ging, begegnete auf dem Schrannen jeden Abend ein Woiti wie eine Heubürde. Auf eingeholten Rat bei Probst und Pfarrer Arnold (gest. 1819) redete er es an und versprach ihm drei Stücke: keine grünen Kirschen zu essen, keine geistigen Getränke zu geniessen, und das dritte Stück wollte er nie verraten. Jetzt schwebte das Gespenst schneeweiss von ihm weg.
c) Eine andere Fassung lässt die Begegnung mit dem Gespenst – es war seine Frau, die er beim ersten Anblick nicht erkannte und mit den Worten: »E, was machisch etz dü da?« angeredet hatte – unter einem Kirschbaum zwischen Schattdorf und Bürglen stattfinden. Versprechen wie bei b, Abschied wie bei a.
David Imhof, Frau Arnold-Stadler und a.
d) Er musste versprechen, nicht Hirt und nicht Wirt und nicht Ratsherr zu werden, sein Leben lang keine grünen (d.h. ungekochten) Kirschen zu essen und keine geistigen Getränke zu geniessen.
Frau Mattli-Bissig, 80 Jahre alt, Jos. Maria Gisler
e) Bei wüstem Guxwetter (Schneetreiben) kam einst der Sigrist von Bürglen, Andreas Planzer, aus dem Riedertal. Auf der Strasse begegnete er einem schönen, feingekleideten Fräulein, das in aller Hast daherkam. Er redete es an, fragte nach dem Woher und Wohin und erhielt zur Auskunft, es komme von Paris und müsse noch heute auf den Ruchen. Was es auch um Gottes Willen denke, meinte kopfschüttelnd der Sigrist, bei diesem Wetter komme es nicht lebend da hinauf. Was es dort zu tun habe? »Und ich muss heute noch auf den Ruchen, dort muss ich wandlen. Soeben bin ich gestorben, und mein Leib liegt in Paris noch warm auf dem Totenbett. Aber wenn ihr tut, was ich von euch wünsche, so könnt ihr mich von diesem schweren Gange erlösen.« Was das sei? »Ihr dürft euer Leben lang keine rohen Kirschen essen und niemand etwas von dieser Sache verraten, als einst auf dem Totbett euerm Priester.« Das versprach der Sigrist, obwohl er ums Sterben gerne frische Kirschen ass. Da entschwebte das Fräulein ganz im »Weissen«, es war erlöst. Der Sigrist ist seinem Gelöbnis treu geblieben.
Heinrich Wipfli, 55 Jahre alt, Seedorf
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.