Ein Nachtbub aus dem Reusstal, der niemanden fürchtete, streifte herum und erwartete, irgend einen anzutreffen, mit dem er sich hätte messen können. Endlich kommt er nahe zu einem Gädemli und sieht da Einen an einem Gadenegg stehen. Denkt er: »Da passt einer auf dich!« und schleicht möglichst heimlich hinzu. Wie er das Gadenegg erreicht und sich auf den vermeintlichen Gegner werfen will, steht dieser schon am andern Egg und schaut ihn an. Schnell auf ihn los; doch kaum ist der Posten erreicht, steht er schon wieder am andern Egg; und so gehts weiter, von einem Egg zum andern, drei bis vier mal um das Gädemli herum, bis jener endlich durch die offene Gadentüre in das Innere schlüpft. »Da bist jetzt am rechten Ort«, denkt der abenteuerlustige Nachtbub. Zuerst stupft er mit einem Stock um sich und kann nichts fühlen. Dann zündet er ein Streichholz an, sieht aber nichts auffallendes. »Wo hat sich auch der versteckt?«, denkt er, zündet ein Licht an und fährt damit im Gaden herum. Endlich findet er einen Toten zuhinterst im Barmen liegend, will sagen einen Verstorbenen, dessen Geist sich hier auf diese Art zeigen konnte. Der Nachtbub redet ihn an. Da sagt der Tote: »Ja, wenn du nicht ein Nachtbub wärest, so hätte ich das Recht, dich zu Staub und Asche zu zermalmen. Ich war auch ein Nachtbub, und da bin ich einmal auf meinen nächtlichen Streifereien zu diesem Gädemli gekommen. Und da habe ich gewusst, dass das Pürli da sys Chüehli ubergähnd schlächt haltet, und bin gegangen und habe dem Tier Heu gegeben. Am andern Morgen hat es dann mehr als gewöhnlich Wasser glaffet und ist dem Pürli verreckt. Deswegen muss ich hier wandlen, bis mir seine Erben die Schuld nachlassen.« Da versprach der Lebende, sein möglichstes zu tun. Er ging zu den Erben jenes Bäuerleins, und diese schenkten dem ehemaligen Nachtbub die Schuld. Dieser erschien später unserem wackeren Reusstaler und offenbarte ihm, er sei erlöst.
Joh. Jos. Walker
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.